Donald Wandrei

  • Zwar gibt es bereits einen Thread zu Dead Titans, Waken!, ich möchte hier jedoch noch einen Vorstellungsthread für Donald Wandrei zur allgemeineren Diskussion erstellen. (Der Text stellt eine überarbeitete Fassung einer Vorstellung dar, die ich vergangenes Jahr für die FB-Seite der dLG verfasste)



    Donald Wandrei (1908 - 1987)


    Wandrei wurde in Saint Paul, Minnesota geboren. Von frühester Jugend an kultivierte er eine Vorliebe für Science-Fiction und andere phantastisch-abenteuerliche Literatur. Während seiner Schulzeit arbeitete er zeitweise als "Page Boy" in der lokalen Bibliothek, wo es seine Aufgabe war, die Regale zu befüllen und Bestellungen heraus zu suchen. Durch diese Arbeit hatte er auch selbst Zugriff auf eine breite Auswahl an Büchern. Er schrieb sich später an der University of Minnesota für Englische Literatur ein und arbeitete für diverse kleinere Magazine und Studentenzeitungen.


    Wandreis Vorliebe für die Weird Fiction bildete sich durch die Lektüre der Werke Arthur Machens heraus. Der junge Enthusiast begann, sich einen genaueren Genre-Überblick zu verschaffen, die Pulps zu lesen und wichtige Autoren zu sammeln. Ab 1924 stand er brieflich mit Clark Ashton Smith in Kontakt, der ihm eines Tages diverse Manuskripte zur Durchsicht zusandte. Der Autor jener Manuskripte war ein gewisser H. P. Lovecraft. Wandrei las die Entwürfe und schickte sie selbst direkt an Lovecraft zurück, was eine Freundschaft der beiden Männer begründete, die bis zu HPLs Tod 1937 anhielt. Im Juli 1927 reiste Wandrei gar per Anhalter von Minnesota nach Providence, um seinen Freund zu besuchen. Lovecraft war zu diesem Zeitpunkt gerade wieder aus New York in seine Geburtsstadt zurückgekehrt. Die beiden Literaten unternahmen ausgiebige Touren durch die neu-englische Landschaft. Legendär ist eine Begebenheit in einer Eisdiele, wo Wandrei, Lovecraft und der dazu gestoßene James F. Morton sich durch das gesamte Sortiment aßen. Lovecraft profitierte enorm von Wandreis Privatbibliothek, da er sich so immer wieder Bücher ausleihen konnte, die ihm sonst nur schwer zugänglich gewesen wären.




    v. l. n. r.: Wandrei, Lovecraft, Frank Belknap Long



    Ab den frühen 30er Jahren konnte Wandrei eine eigene Autorenkarriere in den Magazinen jener Epoche beginnen. Er lebte zu dieser Zeit in einem Appartement in New York unweit der Redaktionsräume von Astounding Stories. Der charakterstarke Mann und loyale Freund trat dabei immer wieder auch für Lovecraft ein, wenn dessen Geschichten abgelehnt wurden. So war es Wandrei, der Weird Tales-Herausgeber Farnsworth Wright die Leviten las, als dieser The Call of Cthulhu nicht abdrucken wollte. Wandrei schrieb Geschichten und Gedichte, die allgemein als hochwertig angesehen wurden. Er versuchte sich auch an nicht-phantastischen Stoffen und Theaterstücken, war damit allerdings weniger erfolgreich. Später schrieb er zudem für die neu entstandenen Comics.


    Heute ist Donald Wandrei wahrscheinlich am ehesten bekannt für seine Mitwirkung an der Gründung des Verlages Arkham House, den er 1939 mit August Derleth etablierte, um Lovecrafts Geschichten in Buchform zu publizieren. Seine Beteiligung an der Verlagsgestaltung reduzierte sich allerdings durch den zweiten Weltkrieg, in welchem Wandrei mehrere Jahre als Soldat der US-Army kämpfte. Er nahm dabei u. a. an Gefechten mit der sich auf dem Rückzug befindlichen Wehrmacht im Rheinland teil.



    Wandrei (rechts) mit August Derleth




    In den Nachkriegsjahrzenten trat Wandrei nicht mehr als Autor in Erscheinung, jedenfalls nicht öffentlich. Im Nachwort zur deutschen Ausgabe von Tote Titanen, erwacht! schreibt der Übersetzer Andreas Fliedner, Wandrei habe nach der "Rückkehr ins Zivilleben" nie wieder etwas geschrieben (2020, Festa Verlag). Die Verlagsarbeit ruhte jedoch nicht - hier machte sich Wandrei vor allem um die Kompilierung der legendären Selected-Letters-Bände verdient, die erstmals einen tieferen Einblick in Lovecrafts monströse Korrespondenz ermöglichten. Trotz veränderter Verfügbarkeiten stellen die Bände bis heute gesuchte Sammlerobjekte dar. Allerdings war die letzte Lebensphase Wandreis - der als schwieriger Mensch galt - von Streitereien mit den Erben August Derleths geprägt, was auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führte. Selbst das Fandom wurde brüsk zurück gewiesen: Als Wandrei 1984 den World Fantasy Award erhalten sollte, lehnte er ab, da ihm die Lovecraft-Büste gestalterisch missfiel. Als T. E. D. Klein den zurückgezogen lebenden Wandrei 1979 besucht hatte, notierte er sich: "He was, even then, something of a legendary figure, reclusive, eccentric, and notoriously difficult [...]." (A Haunted House - in: Providence After Dark and other Writings, 2019, Hippocampus Press, Seiten 166-169)


    1987 starb Wandrei vereinsamt in seiner Geburtsstadt.




  • Die neueste Wandrei-Publikation in deutscher Sprache - übersetzt und mit einem Nachwort von Andreas Fliedner.


    Ich habe den Band bislang nicht gelesen und kann so weder zum Roman noch zur Übersetzungsqualität etwas sagen. Das Nachwort ist nicht uninteressant, bietet aber wohl höchstens für Einsteiger*innen einen Mehrwert. Es wirkt unmotiviert geschrieben und bildet Wandreis Vita nur sehr kursorisch ab. Daneben enthält es eine kleine Kritik des Romans selbst sowie Überlegungen zu Parallelen zwischen Wandreis und Lovecrafts Werk. Wandreis Lyrik bleibt ebenso unerwähnt wie seine frühe Lesesozialisation. Erfreulich ist der Hinweis auf einen kurzen Ausflug in die Welt der distinguierteren Literaturmagazine. Mit einem Jean-Ray-Zitat zum Abschluss weist sich Fliedner als Kenner aus. Wer bereits die englische Version des Buches hat, muss nicht zugreifen. Soweit ich weiß, ist dieser über Festas Sonderwege in Umlauf gebrachte Band ohnehin vergriffen.






    Weniger Anerkennung findet Wandrei heute als Poet. Zu Unrecht! Bis in die 30er Jahre hinein feilte der junge Autor und Uni-Journalist an seinen Versen. In ihnen vermengen sich dionysische Motive des klassischen Altertums mit elysischen Wonnen der Romantik und subtilem Cosmic Horror sowie dekadenter Erotik. Ein zentrales Thema des Wandrei'schen Lyrik-Kosmos ist die "Schönheit". Von Poemen mit realistischer Verortung wechselt Wandrei zu Fantasy-Gebilden, Naturlyrik steht neben exotischem Orientalismus. Es verwundert angesichts dieses breiten Panoramas nicht, dass Wandrei einst den Einstieg in die Weird Fiction durch Arthur Machen fand. Es wäre gewiss auch reizvoll, die Lyrik eines Clark Ashton Smith mit Wandreis zu vergleichen, oder auch einen komparativen Blick zu George Sterling zu wagen.


    Wandrei veröffentlichte viele seiner Gedichte in Weird Tales. Später gab Arkham House die von Wandreis Bruder Howard illustrierte Sammlung Poems for Midnight heraus. Der hier abgebildete Band (Hippocampus Press, 2008) verfügt ebenfalls über einige Illustrationen Howard Wandreis und enthält zudem - wie der Titel sagt - einige Prosagedichte Donald Wandreis; traditionell eine Literaturform, die es besonders schwer hat, Anerkennung zu finden. Im Vorwort mutmaßt S. T. Joshi, Wandrei werde dereinst ausschließlich für seine exquisite Lyrik in Erinnerung sein. Er stellt ihn als hervorragendsten Dichter des Lovecraft-Zirkels heraus. Einzige Konkurrenz: Samuel Loveman.

  • Sogar in das altehrwürdige Literaturmagazin Der Rabe hat Wandrei es einst geschafft - wenn auch nur als Briefpartner H. P. Lovecrafts.



    In der Jubel-Nummer 10 von 1985 - die sich ganz den Briefeschreibenden und allerlei Korrespondenzien widmet - finden wir in der Kategorie Teuflische Briefe und Hiobsbotschaften eine Note von HPL an Wandrei aus dem Jahr 1927. Kurz nach ihrem ersten Treffen in Persona geschrieben, teilt Lovecraft seinem Freunde hier einen fürchterlichen Traum mit, der den Phantasten aus Providence während eines Schläfchens nach üppigem Mittagsmahl überkommen hatte.


    Interessant ist, dass genau jener Alb den deutschen Filmemacher Sascha Renninger zu seinem exquisiten Kurzfilm Fragment 1890 inspirierte. Im Anhang des Büchleins erfahren wir noch, dass der Brief dem 2. Band der schon erwähnten Selected Letters entnommen wurde (der Publikationsort ist fälschlich mit "Sank City" angegeben) und dass er sich auch für Arno-Schmidt-Unkundige gut lesen lassen solle - womit wohl auch geklärt sein dürfte, wie man in der Redaktion auf die Idee kam, einen Lovecraft-Brief neben Postalisches von u. a. Gottfried Benn, Oscar Wilde, Theophile Gautier und Thomas Mann zu stellen.



    Übersetzung: Michael Walter

  • Nils 8| Wow, ganz ganz herzlichen Dank, eine echt wunderbare Vorstellung! :*


    Die OV der Titanen (einfach geiler Titel) ist mit einer zweiten Erzählung im Doppelpack und der Sammlung grad ganz oben auf meiner Einkaufsliste gelandet. Das dürfte schon sehr mein Geschmack sein, zumal ich gemerkt hab, dass ich einfach auch blind Joshis Vorlieben folgen könnte ...


    (Lovecraft: "genudelt" ^^!)


    Tolle Photos auch, hatte mir schon den FB-Link (HPL Photoarchiv) angeschaut, das sind eben mal ganz andere Eindrücke als diese typsichen ernsten.


    Super, ein schöner Thread!

  • Gratulation zu dieser Vorstellung! Nils


    Mit dem Raben-Brief ist dir zudem ein echter Treffer gelungen, – für mich jedenfalls eine Überraschung. Vielleicht nur ein kurzes Schreiben, aber wenn es um Träume geht, ist im Zusammenhang mit Lovecraft natürlich Aufhorchen! angesagt.


    Wandreis Bild ist bei mir etwas getrübt, da er in seinen letzten Lebensjahren innerhalb des US-amerikanischen Fandoms eine zwiespältige Rolle einnahm, wie du ja schreibst. Seine Verdienste wurden wohl anerkannt, gleichzeitig aber wird er als "schwieriger" Zeitgenosse beschrieben. Ich zitiere derTraeumer zu der Arkham-House-Auseinandersetzung:

    Zitat


    Wandrei hatte es während des gesamten Prozesses versäumt, seine Sicht der Dinge und seine Motivation öffentlich zu kommunizieren, sodass der letzte Gründer von Arkham House in seinen letzten Lebensjahren von der Szene, der er Jahrzehnte lang mit begleitet hatte, für einen verschrobenen, paranoiden Exzentriker gehalten wurde. Schlimmer noch, hatte er begonnen Essays zu veröffentlichen, in denen er diese Szene, die ihn nicht verstand, angriff.

    (Quelle: Horz, Niels-Gerrit: Von Sauk City nach Arkham. 80 Jahre Arkham House. In: Lovecrafter Nr.6, Dezember 2019)


    Dann liegt mir noch ein überliefertes Zitat von Manly Wade Wellman vor, in dem er Wandrei "son of a bitch" nennt und auf jene gewissen Äußerungen anspielt.


    Nun – solange ich diese Äußerungen nicht kennte, werde ich mir weiter keine Meinunge dazu bilden. Doch die Sache steht im Raum, und auch wenn ihre Darstellung zu Wandreis Werk möglicherweise nicht viel beiträgt, – aus biografischer Sicht wäre einmal eine Aufarbeitung interessant.

  • (Quelle: Horz, Niels-Gerrit: Von Sauk City nach Arkham. 80 Jahre Arkham House. In: Lovecrafter Nr.6, Dezember 2019)

    Sehr richtig, diesen Text zu zitieren. Ich hatte darauf gehofft - meine LC-Ausgaben sich gerade schwer erreichbar für mich aus Lagerungsgründen.


    Wandrei ist gewiss eine äußerst zwiespältige Figur in vielerlei Hinsicht, aber trotz seines schmalen Werkes und seiner unschönen Rolle zu späteren Jahren übt er eine Faszination auf mich aus. In dem kleinen Travelogue von T. E. D. Klein, den ich oben zitiert habe, hatte ich den Eindruck einer Geisteskrankheit auf Seiten des Klausners Wandrei, was mir doch sehr Leid tat. Genau wissen kann man es letztlich natürlich nicht.


    Leider fehlt mir noch der Briefwechsel zwischen Lovecraft und den Wandreis. Da sollte es wiederum einiges über Persönlichkeit und Anschauungen zu erfahren geben, vermute ich.

  • Der Klein-Band ist gewiss (auch in anderer Hinsicht) lohnenswert, nehme ich an?


    Jack Koblas hat ein langes Kapitel über Wandrei in diesem seinem Buch:

    http://www.batteredbox.com/Kob…nJack/LovecraftCircle.htm


    Ein obskurer Titel. Viele Anekdoten und Erlebnisse mit den alten Pulpstern in den 1970ern und 80ern. Daraus auch das Wellman-Zitat. Koblas selbst, der wie Wandrei in St. Paul, Minnesota, wohnte, war wohl mit Wandrei befreundet – daher gibt es von seiner Seite aus keine harsche Kritik.

  • Ein obskurer Titel.

    In der Tat, aber ein guter Hinweis. Wenn man sich tiefer hinein gräbt, stößt man schon mal auf Koblas und natürlich würde man gerne mehr lesen, aber letztlich kann unsereins auch nicht jede Kleinstpublikation aus Übersee anschaffen. Joshi ist jedenfalls angetan:


    Zitat von S. T. Joshi

    This book [...] is an utterly charming account [...]


    https://www.jstor.org/stable/2…etadata_info_tab_contents


    Koblas selbst, der wie Wandrei in St. Paul, Minnesota, wohnte, war wohl mit Wandrei befreundet

    Es scheint so gewesen zu sein. Joshi schreibt in der verlinkten Kritik, Koblas habe von Wandrei als "Mentor und engstem Freund" gesprochen.


    Der Klein-Band ist gewiss (auch in anderer Hinsicht) lohnenswert, nehme ich an?

    Wahrscheinlich schon. Ich habe ihn hauptsächlich wegen des Wandrei-Textes und einer daneben enthaltenen Anekdote über ein Treffen Kleins mit Robert Aickman gekauft, aber es gibt auch Texte zu F. B. Long, Ramsey Campbell und Arthur Machen sowie einiges zu Lovecraft, insofern dürfte das Buch sein Geld wert sein. Viele Inhalte wiederum sind ggf. nur interessant, wenn man Klein selbst als Autor und Kritiker schätzt.

  • Ein sehr schöner Text, lieber Nils.

    Deine Recherchen finde ich sehr gut und der "Fund" im Raben ist eine willkommene Information für ein Projekt an den ich gerade sitze.


    In der Tat muss Wandrei in seinen letzten Jahrzehnten eine sonderbare Person gewesen sein.

    Man darf nicht vergessen, dass er vor seinem Einsatz in Europa in der "Szene" sehr geschätzt wurde und von Fritz Leiber als natürlicher Nachfolger Lovecrafts angesehen wurde (einen Beleg für diese Aussage muss ich gerade schuldg bleiben).

    Nach dem Zweiten Weltkrieg (und wer weiß, was er dort konkret erlebte...) nahm sein literischer Output ab und verebbte in den 50ern fast gänzlich.

    Was hier aber wohl auch nicht vergessen werden darf ist, dass er viele wichtige Menschen verloren hatte. Ob nun Lovecraft (1937), Donalds Bruder Howard (1956) oder August Derleth (1971) - und dass sind nur die historisch relevanten Namen.

    Außerdem wurde er nach Derleths Tod aus seinem Lebenswerk (den Lovecraft Selected Letters) verdrängt. In der Tat wurden in Band 4 und 5 als Herausgeber „August Derleth and James Turner“ angegeben. Ein weiterer Schlag tief in die Magengrube.


    Ich habe ja eine Schwäche für Derleth, Arkham House und beide Wandreis.

    Mal ne Frage zur Biografie, da du ja auch sehr gut im Thema bist:

    Weißt du in welcher Einheit Wandrei in Europa gedient hat? Ganz theortisch könnte man dann (mit sehr viel miltärhistorischer Recherche) seinen Kriegsdienst grob nachzeichen.


    Edith: Danke für die positive erwähnung meines Artikels.

  • Mal ne Frage zur Biografie, da du ja auch sehr gut im Thema bist:

    Weißt du in welcher Einheit Wandrei in Europa gedient hat? Ganz theortisch könnte man dann (mit sehr viel miltärhistorischer Recherche) seinen Kriegsdienst grob nachzeichen.

    Das finde ich eine ganz grandiose Idee, Nils und Nils . Wenn - offenbar - so ein krasser Bruch in Verhalten und vielleicht sogar Persönlichkeit entstand, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das, wie du sagst, auch mit Trauer und Traumata zu tun hat.


    Wenn man da das richtige Militär-Forum findet und dort fragt, kann es sogar sein, dass die Recherche gar nicht so lange dauern müsste.


    Ich wäre sehr gespannt, das scheint ein sehr interessanter Mensch gewesen zu sein.

  • Katla

    Nils


    Ich hätte nicht damit gerechnet in der Wikipedia fündig zu werden:


    Zitat

    a technical sergeant, Third Battalion, 259th Infantry, 65th Division, a unit of General Patton's famous Third Army


    Ich glaub ich werd mich da 2021 mal ranhängen, wenn ich endlich die Recherche zu Derleths deutschen Vorfahren beendet habe.