Jean-Christophe Grange - Die Fesseln des Bösen

  • Es gibt wenige Autoren, von denen ich alles gelesen habe ... Grange aber ist so einer. Wir zwei haben ein sehr seltsames Verhältnis zueinander. Einerseits liebe ich ihn abgöttisch. Kein anderer Thriller-Autor hat mich je so sehr in seinen Bann gezogen. Kein anderer ist so abgefucked und hat so großartige, lebensnahe Figuren geschaffen, wie der Franzose. Andererseits gibt es keinen Roman von ihm, dem ich die volle Punktzahl geben würde. In seinem Portfolio gibt es kein `Es`, gibt es kein `Terror`, kein `Schweigen der Lämmer` (allesamt Bücher, die ich als schlicht perfekt bezeichnen würde). Nein, irgendein Haar in der Suppe finde ich in jedem seiner Werke. Nichtsdestotrotz - In seinen besten Momenten hat er mich und reißt mich mit in den Strudel aus Wahnsinn, der sich in allen seinen Geschichten auftut. Und das schaffen nicht viele. Chapeau!


    Kommen wir nun zu den `Fesseln des Bösen`. Grange betritt das Spielfeld des BDSM. Kann das gut gehen? Ich ahnte schon im Vorfeld Übles. Und ich sehe mich bestätigt. Grange betritt das Spielfeld mit Kettensäge und liefert ein Blutbad ab, das so in der Bestsellerliteratur seines Gleichen suchen dürfte. Ehrlich ... In einigen Momenten fühlte ich mich an Edward Lee erinnert. Ich bin vielleicht kein Gorehound, der sich jeden Abend EvilDead reinzieht, aber ich bin auch nicht gerade zartbesaitet, wenn es um Thriller geht. Aber hier musste ich an einigen Stellen die Geschichte unterbrechen.

    Neben dem Sujet, das Grange wie ein Berseker bearbeitet, ist der Stil der nächste harte Punch, den er mir als Leser verpasst. Leberhaken. Ohne Rücksicht auf Verluste. Seine Schreibe ist hier derart hochgestochen und poetisch, dass es einfach alle Grenzen sprengt. Es gibt praktisch keine schlichten Schilderungen in dem Roman. Alles ist von poetischer Schwere, die Vergleiche soweit weg von Klischees, wie ich vom Rang eines Bestsellerautors. Als Typ, der selber schreibt, nötigt mir das einen Haufen Respekt ab. Mehrmals hab ich Stellen mit offenem Mund zweimal gelesen. Wow. Aber eben auch viel zu krass. Regelrecht erdrückend. Die Sprache besitzt eine solche Schwere, dass jede Seite mehr zu wiegen scheint, als so mancher Wälzer eines Autorenkollegen. Sie erschlägt einen förmlich ... und das macht es unglaublich anstrengend.

    Plot, Wendungen und Figuren sind dermaßen drüber, zweites Wow.



    Spoiler:



    Der Hintergrund unseres ermittelnden Kommissars: Vollwaise, Drogenabhängig, wurde von seinem Dealer gefangengehalten und regelmäßig von dessen Kumpels sexuell missbraucht und auf den Strich geschickt; Irgendwann killt er den Dealer; wird dabei von einer ranghohen Polizistin erwischt, die ihn dazu bringt, auf die Polizeischule zu gehen und sich ab jetzt dem Kampf gegen das Böse zu verschreiben; Mittlerweile fröhlich geschieden von einer Ostblockschönheit, deren Hobby es ist, sich selbst zu verstümmeln und Hardcore-SM-Videos zu drehen; Nebenbei hat unser Clint Eastwood noch circa 5 Ganoven im Dienst umgebracht - scheinbar der ganz normale Lebenslauf eines Pariser Kommissars.

    Das ist so dermaßen hanebüchen, dass ich den Roman irgendwann als Fantasy gelesen habe.

    Natürlich war Grange schon immer irgendwo drüber, aber hier übertreibt er`s halt. Stellt euch vor, Michael Crichtons Dinos hätten auch noch die Fähigkeit zur Teleportation besessen und zum Schluss von Jurassic Park hätte sich rausgestellt, dass der T-Rex eigentlich von Außerirdischen abstammt.

    `Fesseln des Bösen` ist eigentlich drei Romane in einem. Wir hätten einmal einen knallharten Krimi, dann einen Kunstroman, in dem Goya behandelt wird, und im letzten Drittel dann einen Gerichtsthriller.


    Dieses Buch ist ein wenig so, als hätten 18Karat und DreamTheater zusammen nen Song aufgenommen ... und als Feature-Gast auch noch Herbert Grönemeier dazugeholt. Eigentlich ungenießbar, aber irgendwo auch faszinierend. Grange will hier den ganz großen Wurf. Das merkt man. Er scheitert für meinen Geschmack zwar auf ganzer Linie, aber er beweist definitiv Eier ... und verdammt, das nötigt mir Respekt ab!

    Um mal bei meinem Beziehungs-Gleichnis zu bleiben: Grange ist wie eine arrogante, wunderschöne, zickige Geliebte, mit der vielleicht nicht jedes Treffen sonderlich angenehm verläuft, die aber gerade wegen ihrer unausstehlichen Art so besonders ist!


    PS.: Lese gerade den Neuen Grange `Die letzte Jagd`, und das Buch ist wirklich das exakte Gegenteil von `Fesseln des Bösen`. Träge, bieder, fast schon beschaulich. An der ein oder anderen Stelle findet sich sogar ein Hauch von Humor STN: Vielleicht sollten ich und Grange uns mal nen guten Paartherapeuten suchen xD



  • T. Mengel: An anderer Stelle habe ich mich ja auch schon als Grangé-Fan geoutet. Jetzt nicht so, dass ich jedes Buch in der ersten Woche nach Erscheinen lesen muss; überhaupt kenne ich gar nicht alle Romane von ihm. Aber ist immer ein abgründiges Erlebnis. Man muss dazu auch in der Stimmung sein.

    Dazu habe ich die Bücher gar nicht gelesen, sondern als Hörbücher gehört. Da konnte man bisher immer Spitzensprecher verpflichten, so dass das Buch meiner Meinung nach nochmal eine zusätzliche Ebene bekommt. Dietmar Wunder z.B. verleiht "Schwarzes Requiem" nochmal eine ganze Schippe Wahnsinn zusätzlich.


    Aber zwei Dinge wollte ich kommentieren:

    Ich hatte schon bei "Die Wahrheit des Blutes" den Eindruck, zwei Bücher zu hören und die ganze Zeit darauf gewartet, dass Grangé nochmal den Bogen zurück findet. Auch war in dem Roman vieles Selbstzweck, das ganze Samurai- und Ehren-Gedöns. Aber wie schon geschrieben, als Vortrag (auch) von Dietmar Wunder einfach Hammer.


    "Die letzte Jagd" ist vom Titel und Klappentext die Romanversion einer Episode der "Die purpurnen Flüsse" TV-Serie. Ob es die Idee zum Roman schon länger gab und Grangé erst das Drehbuch geschrieben hat, weiß ich nicht. Dto. ob der Roman von der Episode abweicht. Da habe ich nicht weiter nachgeforscht. Das erklärt vielleicht auch, warum der Roman relativ "brav" ist. Das (Hör)Buch kenne ich auch noch nicht.