Robert Aickman

  • Ich wollte Aickman schon länger einen eigenen Thread widmen. Nicht nur, weil einer der wichtigsten phantastischen Autoren des letzten Jahrhunderts ist - er zählt auch unangefochten zu meinen eigenen Favoriten aus der Weird Fiction im weitesten Sinne. Darüber hinaus würde er auch in einer allgemeinen Bestenliste bei mir einen hohen Platz belegen.




    Biographie


    Aickman (1914 - 1981) widmete sich erst relativ dem spät dem Verfassen seiner phantastischen Kurzgeschichten, die er selbst stets als strange stories verstanden wissen wollte. Ursprünglich sollte der Sohn eines Architekten der Profession des Vaters folgen, nach dem Krieg verschrieb sich der politisch konservative Aickman jedoch dem Erhalt des wirtschaftlich belangloser werdenden britischen Kanalsystem, den "Inland Waterways". Er war Mitbegründer und maßgeblicher Mitarbeiter der "Inland Waterways Association".


    Zur Mitte der 50er Jahre schrieb er drei Geschichten, die gemeinsam mit Beiträgen von Elizabeth Jane Howard in der Sammlung We Are for the Dark erschienen. In der Folge konnte er einzelne Stories in Magazinen unterbringen. In den 60ern veröffentlichte er seinen ersten Roman The Late Breakfasters und die erste komplett eigene Sammlung Dark Entries. Seine Expertise wurde gewürdigt, als man ihm die Herausgabe der Reihe Fontana Book of Great Ghost Stories übertrug, was der Möglichkeit zur Schaffung eines Kanons gleichkam. Die erste Anthologie enthält u. a. Geschichten von L. P. Hartley, Joseph Sheridan Le Fanu, Algernon Blackwood und William Hope Hodgson. Er widmete das Buch Lady Cynthia Asquith.


    Aickman war weithin als klassisch gebildeter Kenner von Literatur, Musik und Theater anerkannt. Er veröffentlichte weitere Storysammlungen, schrieb Theaterkritiken und zwei autobiographische Bücher. Er wurde u. a. mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet, den er aber nicht persönlich entgegen nehmen konnte. 1981 starb Aickman an einer unbehandelten Krebserkrankung - er hatte auf eine medizinische Therapie zugunsten einer homöopathischen Mitteleinnahme verzichtet.


    Aickmans Literatur ist kaum durch herkömmliche Genrekategorien zu erfassen und nimmt innerhalb der Weird Fiction gewiss eine Sonderstellung ein. Ein geschliffener Stil, der zwischen reichhaltigem Realismus und poetischer Verdichtung pendelt, paart sich mit einer ausgefeilten Psychologie und dem gekonnten Einsatz des universellen Instrumentariums der Ghost Story, wobei die Elemente in ihrer Intensität wechseln und immer wieder erkennbar unterschiedlich arrangiert werden. Durch eine enorme Bandbreite an ProtagonistInnen, Handlungsorten und Themen bleibt Aickman durchgängig interessant. Er spielt immer wieder mit surrealistischen und symbolistisch-dekadenten Aspekten. Er wird häufig mit M. R. James und Walter de la Mare verglichen, was nicht falsch, aber auch nicht wirklich zutreffend ist.



    Weiteres


    Sehr lesenswert: Der ausführliche Artikel der englischen Wikipedia.


    Als maßgeblicher Aickman-Verlag muss die Tartarus Press genannt werden; hier ist bspw. gerade frisch ein zuvor noch nie veröffentlichter Roman Aickmans erschienen.


    Günstig zu haben sind mehrere Sammlungen Aickmans bei Faber & Faber.


    Einen deutschen Text über Aickman, der auch bisherige Übersetzungen nennt (nur noch antiquarisch), fand ich im Phantastikon.


    Eine sehenswerte Dokumentation über Aickman findet sich auf youtube: Robert Aickman - Author of Strange Tales



    Es gäbe noch mehr zu sagen. Interessante Berichte über und Texte zu Aickman (Person und Werk) kenne ich u. a. von Joel Lane, Peter Straub und T.E.D. Klein. Ich werde nach und nach alle Bücher, die ich von Aickman besitze und schätze, hier besprechen. Bisher habe ich Aickman ausschließlich im Original gelesen.

  • Das hier ist dann für Aickman-Liebhaber wahrscheinlich auch von Interesse. Ich persönlich fand zwar nur den Beitrag von Lyda E. Rucker darin wirklich stark, aber ich bin mir sicher, dass das vor allem an mir liegt. Mich holt ja Aickman selbst schon nicht sonderlich ab, was ich aber echt als meinem Geschmack geschuldet betrachte. Das Hospiz etwa habe ich SEHR stark gefunden, die anderen Geschichten in derselben Dunmont-Sammlung haben mich aber eher unbefriedigt zurückgelassen (vom Autor ja nicht unintentioniert, insofern ...), daher habe ich noch in keine weiteren Bücher von ihm reingesehen. Ich werde das aber beizeiten noch nachholen und hoffe, dass ich dann besseren Zugang finde.


    Aickman's Heirs, ed. by Simon Strantzas:


    Zum Inhalt:

    Edited by Simon Strantzas, “Aickman’s Heirs” is an anthology of strange, weird tales by modern visionaries of weird fiction, in the milieu of Robert Aickman, the master of strange and ambiguous stories. Editor and author Strantzas, an important figure in Weird fiction, has been hailed as the heir to Aickman’s oeuvre, and is ideally suited to edit this exciting volume. Featuring all-original stories from Brian Evenson, Lisa Tuttle, John Langan, Helen Marshall, Michael Cisco, and others.


    Zum BUch:

    Paperback, 263 pages

    Published May 2015 by Undertow Publications


    Verlag:

    https://undertowpublications.com/shop/aickmans-heirs

  • Nils Wie klasse, das kommt mir sehr zugute, irgendwie weiß ich von Aickman seit über 30 Jahren, aber bin an seinen Texten immer nur langgeschrammt. Es wird mal Zeit, mich da etwas mehr zu vertiefen, und da schaue ich mal, was mir dann von deinen Beschreibungen am besten gefällt (wir scheinen ja recht kompartible Geschmäcker zu haben).

    Schöne Sache, ganz lieben Dank!


    Und ein tolles Photo, macht auf seine Schriften neugierig.

  • Erik R. Andara Danke für die Vorstellung des Bandes! Ich habe ihn schon länger auf meiner Beobachtungsliste, konnte mich bislang aber nicht recht zum Kauf entschließen. Es geht bei hier verdachtsmäßig ein wenig so wie bei Lovecraft: Wenn mit ihm geworben wird, ist er meist nicht drin.


    Es ist durchaus vertretbar, Aickman nicht zu mögen. Seine oft antiklimaktische Erzählweise und seine Vagheit sind manchmal sperrig und es gelingt ihm auch nicht immer, seinen Effekt so zu vollenden, wie er es augenscheinlich wollte. Aber mich reizen auch die im Vergleich schwächeren Stories durch seine schillernde Sprache und seine britisch-skurrilen Szenarien, die stets voller kauziger Gestalten sind.


    Katla Freut mich, dass dir der Beitrag weiterhilft! :)

    "The amount of weird material I have not read is appalling"


    HPL to CAS, 1925

    Einmal editiert, zuletzt von Nils ()

  • Zitat

    Wenn mit ihm geworben wird, ist er meist nicht drin.

    Hmm, also hier ist er durchaus drinnen, wage ich zu behaupten. Gerade Undertow ist für wirklich hochwertige literarische Phantastik bekannt. Aber wie gesagt kann ich es selbst nicht so genau feststellen, ich kenne nur den einen Band von ihm.


    Zitat


    Es ist durchaus vertretbar, Aickman nicht zu mögen.

    Ich werde mir auf alle Fälle noch eine zweite Meinung bilden.

  • Hi Nils,

    toller Thread und toller Autor.

    Einen deutschen Text über Aickman, der auch bisherige Übersetzungen nennt (nur noch antiquarisch), fand ich im Phantastikon.

    Da gab es früher noch viel mehr Texte über Aickman zu finden. U.a. einen sehr lesenswerten Gastbeitrag von Jeff Vandermeer. Seit der Neugestaltung des Phantastikon sind diese aber leider verschwunden. Vielleicht packt Perkampus sie ja irgendwann wieder auf die Seite.

    Es wird mal Zeit, mich da etwas mehr zu vertiefen

    "Das Hospiz" wäre mMn schon mal ein guter Anfang.

  • The Hospice ist gewiss eine der besten Stories. Hier kommt auch der spezifische Humor Aickmans zum Tragen, der mit Kafka verglichen wurde, was ich aber wieder etwas ungenau finde. Roald Dahl kommt mir als Vergleich noch in den Sinn, aber mit weniger kindlicher Boshaftigkeit.


    Als ich nach dem Originaltitel googelte, sah ich, dass es eine alte Verfilmung gibt.

    Das ist sogar die einzige Aickman-Verfilmung des klassischen englischen Fernsehens, soweit ich weiß.


    Es gibt noch eine Umsetzung von Elizabeth Jane Howards Three Miles Up, ihrer wohl berühmtesten seltsamen Story, die damals in We Are for the Dark erschien.

  • Hier kommt auch der spezifische Humor Aickmans zum Tragen

    Humor?! =O *gn* Ich tendiere nach Anschauen dieses zum Niederknien sympathischen Collector-Videos zur Anschaffung des New York Book Review Bandes. Davon habe ich kürzlich ein paar gekauft und finde die wirklich liebevoll aufgemacht und auch von Schriftbild und Haptik her extrem angenehm.

    Hier lässt uns R. B. Russell einen Blick in seine Aickman-Sammlung werfen.

    Tolles Video, danke sehr. Sehr beeindruckend, und schön gefilmt. Dem Sprecher könnte ich jedenfalls Stunden zuhören. ("I don't have the paperback." Aaaw!)


    Mit Entsetzen sah ich, dass ich den einen Fontana Ghost Stories Band hatte (vermute ich, oder er ist in meinen sechs nach 12 Jahren Finnland immer noch nicht ausgepackten Bücherkisten). Im Video #5. Ich weiß noch, dass mir das Buch gut gefiel.

  • Ich tendiere nach Anschauen dieses zum Niederknien sympathischen Collector-Videos zur Anschaffung des New York Book Review Bandes. Davon habe ich kürzlich ein paar gekauft und finde die wirklich liebevoll aufgemacht und auch von Schriftbild und Haptik her extrem angenehm.

    Compulsory Games lohnt gewiss die Anschaffung, wobei ich nicht sicher bin, ob die Sammlung wirklich als Einstieg taugt. Russell meint im Video zwar, es handele sich um "a good selection", ich würde aber schon darauf hinweisen, dass sie fast durchwegs weniger bekannte und potentiell sperrigere Geschichten von Aickman enthält.


    Ich würde als Einstieg eher Cold Hand in Mine empfehlen; hier hat man die preisgekrönte Story Pages from a Young Girl's Journal, den Klassiker The Hospice, die sexuell verstörende, surrealistische Groteske The Swords und mit Geschichten wie The Same Dog und Meeting Mr Millar hervorragende Beispiele für Aickmans atmosphärische Meisterschaft durch den eigentümlichen Gebrauch eigentlich eher konventioneller Motive.

  • Nils Lieben Dank für deine Einschätzungen! :*


    Ich schaue mal nach Leseproben, sperrig wäre grad kein Problem, zuletzt las ich Krzhizhanovsky, Samuels und Blackwood. Meine Toleranz ist grad recht hoch.


    Gestern hab ich auch das biographische Video gesehen, und "The Swords" scheint ja wirklich sehr spannend zu sein. Mal sehen!


    Sehr interessant war dort auch die Diskussion, ob / dass die meisten Phantastikautoren nicht an Paranormales glauben. Dass Aickman quasi Ghosthunting betrieb, wäre allein allerdings noch kein Beweis (auch heute gibt es skeptische Geisterjäger, die sagen, sie suchten eher naturwissenschaftliche Erklärungen und würden erst an Paranormales glauben, wenn sie Beweise dafür fänden. Diese mit 2 Millionen dotierte Challenge konnte ja bisher nicht geknackt werden.) Ist also auch interessant, zu sehen, ob sich seine Geschichten dadurch irgendwie von denen seiner skeptischen Kollegen unterscheiden.