Cornell Woolrich – Die wilde Braut


  • Cornell Woolrich: Die wilde Braut (Savage Bride)

    Taschenbuch, 280 Seiten. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger

    Diogenes. Zürich 1991 (detebe 21873)


    Das Land der Toten

    Ich mag Geschichten, bei denen am Ende alle Akteure tot sind. Wenn ein Autor in dieser Hinsicht ganze Arbeit geleistet hat, verschafft mir das eine morbide Art von Befriedigung (natürlich muss die Sache originell abgewickelt werden). Cornell Woolrich (1903 – 1968) ist so ein Autor und sein origineller Roman, um den es geht, heißt: Die wilde Braut.

    Es ist die Geschichte des Lawrence Kingsley Jones, der zufällig entdeckt, dass eine junge Frau – Mitty – von zwei Männern in einem Haus gefangengehalten wird. Mitty und Jones verlieben sich ineinander, er befreit sie, sie heiraten im Schnellverfahren und fliehen gemeinsam vor den beiden Männern. Letztere verfehlen die Flüchtenden um Haaresbreite, als die sich irgendwo an der Ostküste der USA einschiffen, um nach Acapulco zu fahren.

    Während eines Zwischenstopps in einem mittelamerikanischen Kaff bleiben die Eheleute über Gebühr an Land. Das Schiff fährt ohne sie weiter, die Reise endet vorzeitig. Hier, in Puerto Santo, fühlt sich Mitty mächtig zu einem Berg im Urwald hingezogen. In ihrer Wahrnehmung existiert nichts anderes mehr und von Tag zu Tag drängt sie weiter hinauf in die unbekannte Bergregion. Was verbirgt sich dort – und was hat es mit dem jenseitig gelegenen, sagenhaften Tierra de los Muertos, dem Land der Toten auf sich?

    Fassungslos muss Jones mitansehen, wie ihm seine Braut darüber langsam aber sicher zu entgleiten droht. Irgendwann dämmert ihm, dass Mittys Entführung ein Fehler war und Woolrich legt ihm das ebenso großartige wie bittere Resümee in den Mund: „Ich habe in dieser Nacht meinen eigenen Tod aus seinem Haus gestohlen.“ (S. 181)


    Lost Race meets Noir

    Jones ist ein Anti-Held. Einer, der als wagemutiger Liebhaber ins Geschehen startet, aber auf halber Strecke ausgebremst und zum hilflosen Zuschauer verdammt wird. Ausgebremst von etwas, was an einer Stelle als „die primitive Moral der finsteren, toten Vergangenheit“ (S. 213) angeklagt wird. Und auch wenn Die wilde Braut die Spannung des exotischen Abenteuers atmet, erweist sich das Buch angesichts der tragischen Hauptfigur nicht als echter Abenteueroman. Es fällt der Name Henry Rider Haggard, und wenn man so will, ist Die wilde Braut Woolrichs Beitrag zum Lost-Race-Genre, allerdings ein Beitrag, der stutzig macht. Ein Krimi, als den uns der Verlag das Werk weismachen möchte, ist es – nach allem, was ich über Krimis weiß – ganz sicher nicht. Phantastisch scheint die Geschichte nur insofern, als dass Woolrich höchst Unwahrscheinliches schildert, ohne gänzlich den Boden der Realität zu verlassen. Ungeachtet aller Gattungsfragen hat das Zitat aus der Weltwoche (Zürich) Gültigkeit: „Woolrich schreibt Etüden der Angst und Einsamkeit, voll cooler Bildentwürfe und grandioser Stimmungsmalerei.


    Woolrich bei Diogenes

    Das erste Woolrich-Buch, das ich las, war Die Nacht hat tausend Augen, im Lexikon der Phantastischen Literatur als sein Hauptwerk bezeichnet. Dem Autor wird ein recht langer und wie mir scheint: verdienter Eintrag gewidmet. Der Diogenes Verlag pflegt Woolrichs literarisches Erbe seit den 1980er-Jahren und hat von ihm insgesamt 10 Titel im Programm.

  • fast schon eine Horrorgeschichte

    Ja, kurzzeitig kommen auch Horror-Elemente ins Spiel. Und wenn du dich an das Schicksal der "beiden Männer" (Fredericks und Cotter) erinnerst, dann haben wir es wohl auch mit "Terror" (im Sinn von Schrecken) zu tun.

    Kurzer Nachtrag zum Beitrag: Hier gibt es von Diogens eine Bio-Bibliografie, wo die Woolrich-Titel verzeichnet sind nebst einem kurzen Lebensabriss.

  • Danke für die interessante Vorstellung. Woolrich - auch ein Autor, von dem ich immer mal mehr lesen wollte. Ich fürchte, ich habe mehr Filme gesehen als Romane gelesen.