​Sigizmund Krzhizhanovsky - Romane und Kurzgeschichten

  • Sigizmund Krzhizhanovsky, den ich mal wieder durch eine Nebenbemerkung oder Empfehlung hier im Forum entdeckte, war Schriftsteller und Philosoph, lebte zw. 1887-1950. Als ein scharfer Kritiker des Sowjetregimes sah er nur sehr wenige seiner Texte veröffentlicht, dies waren Essays, keine Prosa.

    Zwischen Ironie und Verzweiflung beschrieb er seine Existenz so: "Ich lebe in einer so weit entfernten Zukunft, dass mir meine Zukunft als Vergangenheit erscheint - gelebt, verbracht, und zu Staub geworden." (Zitiert im Vorwort des vorgestellten Buches.)



    Sigizmund Krzhizhanovsky: Memories of the Future

    Transl. by Joanne Turnbull, mit Nikolai Formozov

    New York Review Books, NY 2006

    S. 228, sehr schönes Vorwort und Anmerkungen


    Darin habe ich mit der titelgebenden Geschichte - der letzten der sieben enthaltenen - begonnen. Gefällt mir bisher von seinen Büchern am besten, "Memories" ist eine völlig skurrile und teils recht düstere Geschichte um einen Jungen, Maximilian Shterer, der eine Zeitmaschiene erfinden will - ob es ihm tatsächlich gelingt oder nicht, lässt sich nicht genau sagen, denn alles wird von einem auktorialen (seltsam unwissenden bzw. unzuverlässigen) Erzähler und Shterers Biographen erzählt, deren Stimmen sich ähnlich wie die in Jean Rays "Mainzer Psalter" und "Die Gasse der Finsternis" abwechseln bzw. mal nah am Geschehen und mal sehr distanziert im analytischen Rückblick berichten.


    Das Skurrilste sind jedoch die Versuche und Theorien Shterers, die Zeit unter seine Kontrolle zu bringen: ein Großteil der Erzählung liest sich wie Auszüge eines verrückten Astrophysikbuches - wieviel davon tatsächlich naturwissenschaftlich, wieviel spekulativ ist, müsste mal jemand rausfinden, der sich besser in den Naturwissenschaften auskennt.

    Das Buch macht einen irren Spaß, ist wirklich mal ganz was anderes. Stilistisch bei Jean Ray, Andrej Platonov und Le Fanu angesiedelt, also zeitgeschichtlich irgendwo (passend zum Thema) zwischen Gothic Tale und (Post)Moderne.


    Schluss der Geschichte [spoilerfrei]:

    Stynsky interrupted: "I shall use this as the epigraph for my biography of Shterer." And, looking away, he declaimed: "'Take me to the land of those who understand.'"

    "'Who perish,'" the linguist corrected him.

    "It's the same thing."

    And the three went on with their work.


    (Was mich an einen ähnlich sarkastischen Dialog aus Alice in Wonderland erinnerte:

    "The game's going on rather better now", she said, by way of keeping up the conversation a little.
    "'Tis so", said the Duchess, "and the moral of that is - 'tis love, 'tis love, that makes the world go round'!"
    "Somebody said", Alice whispered, "that it's done by everybody minding their own business!"

    "Ah, well! It means much the same thing", said the Duchess ...)


    Den Rest des Buches bzw. auch seines übersetzten Werkes würde ich gern hier nach und nach vorstellen, oder vielleicht hat ja auch jemand anderes Lust, mitzmachen. X/[Wrt]


    Auf Deutsch scheinen nur drei Bücher übersetzt worden zu sein:

    - Lebenslauf eines Gedankens (das man für € 115,- bis 200,- bekommt) - Erzählungen. Ich habe leider nicht herausfinden können, welche enthalten sind.

    - Der Club der Buchstabenmörder

    - Münchhausens Rückkehr


    Im New York Review Books -Verlag noch erschienen:

    - Autobiography of a Corpse

    - The Letter Killers' Club

    - The Return of Munchhausen

    - Unwitting Streets

    sowie

    bei der University of Wisconsin Press: That Third Guy

    und in Red Spectres. Russian 20th-Century Gothic fantastic tales

  • Über weitere Besprechungen der übrigen Geschichten würde ich mich freuen. Ich hatte zufälligerweise von Krzhizhanovsky schon erfahren, bevor ich das Forum hier kannte, und ihn mir vorgemerkt; wann ich mal zu ihm komme, ist eine andere Frage ...

  • wann ich mal zu ihm komme, ist eine andere Frage ...

    Schön, zu hören, dass Interesse besteht. [Cof] Freut mich auch sehr, dass der Autor nicht ganz so obskur ist, wie ich dachte. Wirklich eine Bereicherung.


    Die Geschichten lesen sich locker weg, übrigens, so groß Zeiteinplanen ist da gar nicht nötig.

    Letter Killers allerdings finde ich vom Nur-Reinschauen ein bissl schwankhaft-plätscherig, das muss ich wohl mal in anderer Stimmung lesen.

  • Es geht bei mir gar nicht mal so sehr um Zeitmangel, sondern darum, dass ich, was meinen SuB angeht, recht "undiszipliniert" und impulsiv bin. Es kommt oft vor, dass ich, selbst wenn das Buch gekauft ist, es wesentlich später lese, als eigentlich beabsichtigt, sei es, weil gerade was "wichtigeres" dran ist, oder ich dann doch nicht in Stimmung bin (was man m. E. sein sollte, sonst tut man zuweilen sogar herausragenden Texten Unrecht).

    Ich fand es lockend, dass er diese Erzählungen geschrieben hat, obwohl realistisch gesehen zu seinen Lebzeiten keine Veröffentlichungsmöglichkeit bestand; er war wohl ein echter Schriftsteller. Und New York Review Books lässt mich generell hellhörig werden – die machen einfach schöne Bücher. Ich wünschte, es gäbe etwas vergleichbares in der selben Preisklasse im deutschen Sprachraum, da fielen mir nämlich sonst nur Die Andere Bibliothek und die Klassikerausgaben von Manesse ein.

  • Und New York Review Books lässt mich generell hellhörig werden – die machen einfach schöne Bücher. Ich wünschte, es gäbe etwas vergleichbares in der selben Preisklasse im deutschen Sprachraum,

    Ah ja, verstehe ich gut, mit deinem SuB.


    Die Bücher sind klasse, sie sehen nicht nur toll aus, sondern haben für den Preis auch eine wirklich gute Qualität, Font, Papier etc. Und ich mag diese Seidenmatt-Cover eh.