Die magische Bibliothek


  • „Der Rechtsanwalt und Büchernarr Albert Moll wird auf die Burg des undurchsichtigen Grafen Roderich gerufen, um mit diesem ein Testament aufzusetzen. Dabei stößt er auf zwei betörende Frauen und den Hinweis auf eine wertvolle magische Bibliothek, die auf der Burg verborgen sein soll. Eine Bibliothek, von der er schon immer geträumt hat. Und bald steckt er mitten in Ereignissen, die den Geschichten Stokers, Blackwoods, Lovecrafts und Poe entsprungen sein könnten…“


    Das Buch beginnt schon mal sehr gut - Nämlich mit einem Zitat aus „Dracula“. Albert Moll ist auf dem Weg zur Burg des Grafen Roderich von Blankenstein und liest dabei Stokers berühmten Schauerroman. „Durfte man eine größere Übereinstimmung der Literatur mit dem Leben erwarten?“

    Schon auf den ersten Seiten schafft Siefener hier eine großartige Gothic-Horror-Atmosphäre im Stil der alten Meister - Auch wenn er die Kutsche gegen einen Zug tauscht und der Graf kein Vampir sondern ein querschnittsgelähmter Lustmolch ist. Generell kann man „Die magische Bibliothek“ aber als eine einzige Liebeserklärung an die Phantastik verstehen.

    Moll fühlt sich nach seiner Ankunft in Fangeburg permanent an Szenen aus seinen geliebten Geschichten erinnert - Benson, Lovecraft, Hodgson, Ligotti… Nachdem er sein Hotelzimmer bezieht und sich gerade in „Á cause du sommeil et à cause des chats“ vertieft, steht beispielsweise plötzlich eine geheimnisvolle Frau vor seiner Tür, die nicht nur den gleichen Namen wie die Wirtstochter aus der berühmten Story von Algernon Blackwood trägt, sondern Albert auch irgendwie recht katzenhaft vorkommt. Alles nur Zufall oder werden besagte Erzählungen etwa allmählich zur Realität?


    Der Roman steckt noch voller weiterer Anspielungen auf alte Spuk- und Schauergeschichten. Spätestens wenn Kalju Kirde und die Bibliothek des Hauses Usher erwähnt werden, dürfte bei jedem Genre-Fan das Herz höher schlagen. Siefener betreibt hier jedoch glücklicherweise nicht nur billiges Namedropping, um beim Leser ein wohliges „Das kenn‘ ich doch“-Gefühl auszulösen, sondern erzählt daneben auch noch eine fantastische Geschichte. Eine Geschichte, die gerade im letzten Drittel zunehmend surrealer wird und sich allmählich zu einem wirren Fiebertraum steigert - Inklusive gekreuzigter Kinder, flüsternder Schatten, unendlicher Labyrinthe, Spiegelkabinette, Doppelgänger und einer wirklich schrägen Sexszene.

    Zugegeben, der Roman vereint überwiegend bereits bekannten Siefener-Zutaten: Verschrobener, einzelgängerischer Protagonist mit Juristen-Background, jede Menge okkulte Bücher, Spiegelmotive und eine Handlung bei der Fiktion und Wirklichkeit immer mehr miteinander verschmelzen… aber er macht das äußerst effektiv. Und wenn Albert am Ende schließlich die magische Bibliothek findet - „Ein Zimmer des Irrsinns“, gegen das selbst der rote Raum von David Lynch wie das Kinderparadies von Ikea wirkt, dreht Siefener die Terrorschraube bis zum Anschlag und erzeugt ein paar wirklich beklemmende Schreckensbilder, die man so schnell nicht mehr vergisst.


    Über die finale Auflösung kann man sicher streiten, jedoch vermeidet Siefener es hier erfreulicherweise eine eindeutige Interpretation der Ereignisse zu liefern. War am Ende alles nur eine große Intrige? Die Ausgeburt eines kranken Geistes? Oder ein wahrgewordener Alptraum?

    Nachdem ich zuletzt ein paar schwächere Bücher des Autors gelesen habe, konnte mich „Die magische Bibliothek“ wieder vollkommen überzeugen. Eine großartige Mischung aus alter und moderner Weird-Fiction und ein gelungener Trip durch Suhrkamps Phantastische Bibliothek - In Romanform.