Philip K. Dick - Sämtliche 118 SF-Geschichten Band 2: Variante Zwei

  • Variante 2


    Eine ziemlich langatmige Story. Hatte die Frau gleich im Verdacht. Eine Prostituierte zwischen den Fronten? Bei all den Greifern?

    Klar, dass die SU angriff. Dick fällt es arg schwer, Figuren zu erschaffen, deren Schicksal mich interessiert.


    Nee, das war alles nix.

  • Dick fällt es arg schwer, Figuren zu erschaffen, deren Schicksal mich interessiert.

    Stimmt. Dick funktioniert eher aufgrund seiner Handlung/verrückter Ideen und weniger über seine Figuren. Wobei seine Kurzgeschichten bisher doch manchmal an ihrer extremen Vorhersehbarkeit leiden und sich Dick auch in Sachen Crazyness noch deutlich zurückhält. Seine Mainstream-Romane sind für mich aus ähnlichen Gründen geradezu unlesbar - Dort fehlt Dicks "Ideen-Overkill" nämlich völlig. Größtenteils folgt man dort nur einem Haufen unerträglich unsympathischer und langweiliger Figuren, bei ihren banalen, selbstverschuldeten Beziehungs- und Eheproblemen. Besonders in seinen späten Sci-Fi-Romanen kriegt er die Figurenzeichnung mMn aber deutlich besser hin.


    +++


    Jons Welt

    Worum geht’s: Aufgrund des dritten Weltkriegs hat sich die Menschheit auf den Mond geflüchtet. Nach Kriegsende kehrt sie jedoch in ihre alte Heimat zurück und versuchen die Erde wieder bewohnbar zu machen. Professor Kastner und Caleb Ryan arbeiten zu diesem Zweck an einem Zeitschiff („Projekt Uhr“). Ziel ist es in die Vergangenheit zurückzukehren, um an Schonermans Papiere zu gelangen - Forschungsunterlagen, die zur Erfindung der Greifer geführt haben (siehe „Variante Zwei“). Durch den dritten Weltkrieg gingen diese Aufzeichnungen verloren und damit auch das Wissen über die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz.

    Während sie mit „Projekt Uhr“ immer weiter vorankommen, leidet Ryans Sohn Jon unter seltsamen Anfällen, die er selbst als Visionen bezeichnet. In diesen Visionen sieht er eine Art Garten Eden - Endlose Wiesen, große Seen, frische Luft, unzählige Tiere. Sein Vater hält ihn allerdings für geisteskrank und lässt ihn lobotomieren. Kurz danach tritt er mit Kastner seine Reise in die Vergangenheit an… und erlebt eine kleine Überraschung.


    Der Titel ließ mich sofort an „The World that Jones made“ („Die seltsame Welt des Mister Jones“) denken. Mit dem mittelmäßigen PKD-Roman hat das Ganze aber nichts zu tun. Tatsächlich handelt es sich hier um eine Fortsetzung von „Variante Zwei“. Sie erschien 1954 in „Time to come“, herausgegeben von einem gewissen August Darleth!

    Zum Inhalt: Jons Anfälle erinnert etwas an „Marsianischer Zeitsturz“. Er selbst sagt dazu: „Sie sind anders als alles andere (…) Echter als alles andere! Als würde man durch ein Fenster schauen. Ein Fenster in eine andere Welt. Eine echte Welt. Sehr viel echter als unsere.“

    Es geht also mal wieder um die große Dick-Frage: Was ist Realität? Und leben wir überhaupt in einer? Jons erkennt quasi die Matrix. Und seine Visionen/Bilder überlagern zunehmend die vermeintliche Wirklichkeit und legen sich wie ein Filter darüber. Ryans Lösung für dieses „Problem“ - Er lässt seinen Sohn einweisen und lobotimieren. Danach ist Jons „geheilt“, d.h. er hat keine Visionen mehr.

    Zur Realitäts-Frage kommt also hier noch eine weitere hinzu: Was ist Wahnsinn? Und sind die Wahnsinnigen vielleicht in Wahrheit die Normalen? Oder um es mal mit Edgar Allan Poe zu sagen: „Es ist noch die Frage, ob der Wahnsinn nicht die höchste Stufe der Geistigkeit bedeutet, ob nicht vieles Glorreiche und alles Tiefe seinen Ursprung in einer Krankhaftigkeit des Gedankens, in dem besonderen Wesen eines Zustandes hat, der auf Kosten des allgemeinen Verstandes aufs äußerste, und zwar einseitig, erregt ist.”

    Bis hierhin hat mir „Jons Welt“ extrem gut gefallen, der zweite Teil (die Zeitreise) fällt mMn aber deutlich schwächer aus. Die Zwischenstopps, die Kastner und Ryan einlegen, bringen die Handlung beispielsweise nicht wirklich weiter und sind eher verzichtbar. Und das Ende ist genau wie schon in „Variante Zwei“ mal wieder extrem vorhersehbar. Als Leser weiß man eigentlich schon die ganze Zeit, was es mit Jons Visionen auf sich hat. Zumindest ging es mir so.

    Mir hat sich auch nicht so ganz erschlossen, warum es nicht von Anfang an das Ziel von „Projekt Uhr“ war, den dritten Weltkrieg bzw. die Erfindung der Greifer zu verhindern, anstatt einfach nur Schonermans Aufzeichnungen zu stehlen. Statt die Vernichtung der Erde durch die Roboter zu verhindern, wollen sie die Baupläne besagter Roboter retten, um diese in der Zukunft für die Aufräumarbeiten der zerstörten Erde zu nutzen… Das ergibt einfach keinen Sinn. Oder übersehe ich hier irgendetwas?

    Ich finde es auch nicht besonders glaubhaft, dass der Tod eines einzigen Menschen, den Verlauf der gesamten Menschheitsgeschichte verändern soll, aber darüber kann man diskutieren.


    Noch erwähnenswert: Wir erfahren hier eher beiläufig, dass Variante Zwei a.k.a Tasso mit ihrer Mission nicht erfolgreich war. Die Menschen konnten sie auf der Mondoberfläche sofort ausschalten. Der große Plottwist der vorangegangenen Geschichte, wird hier schnell in einem Nebensatz abgefrühstückt. Trotz dieser Bezüge funktioniert „Jons Welt“ aber auch als eigenständige Geschichte. Vorwissen ist nicht zwingend notwendig.

    Ebenfalls erwähnenswert: Das Verhältnis zwischen Ryan und Grant war mir beim Lesen irgendwie etwas unklar. Handelt es sich bei ihnen eventuell um ein homosexuelles Paar? Das wäre für 1954 ja progressiver Shit gewesen. Wie habt ihr es denn verstanden? (2,5/5).

  • Mir hat sich auch nicht so ganz erschlossen, warum es nicht von Anfang an das Ziel von „Projekt Uhr“ war, den dritten Weltkrieg bzw. die Erfindung der Greifer zu verhindern, anstatt einfach nur Schonermans Aufzeichnungen zu stehlen. Statt die Vernichtung der Erde durch die Roboter zu verhindern, wollen sie die Baupläne besagter Roboter retten, um diese in der Zukunft für die Aufräumarbeiten der zerstörten Erde zu nutzen… Das ergibt einfach keinen Sinn. Oder übersehe ich hier irgendetwas?

    Ich finde es auch nicht besonders glaubhaft, dass der Tod eines einzigen Menschen, den Verlauf der gesamten Menschheitsgeschichte verändern soll, aber darüber kann man diskutieren.


    Noch erwähnenswert: Wir erfahren hier eher beiläufig, dass Variante Zwei a.k.a Tasso mit ihrer Mission nicht erfolgreich war. Die Menschen konnten sie auf der Mondoberfläche sofort ausschalten. Der große Plottwist der vorangegangenen Geschichte, wird hier schnell in einem Nebensatz abgefrühstückt. Trotz dieser Bezüge funktioniert „Jons Welt“ aber auch als eigenständige Geschichte. Vorwissen ist nicht zwingend notwendig.

    Ebenfalls erwähnenswert: Das Verhältnis zwischen Ryan und Grant war mir beim Lesen irgendwie etwas unklar. Handelt es sich bei ihnen eventuell um ein homosexuelles Paar? Das wäre für 1954 ja progressiver Shit gewesen. Wie habt ihr es denn verstanden? (2,5/5).

    Tja, ich gehe noch weiter. Die reisen in die Vergangenheit und erst als sie wieder in die Gegenwart zurück kehren wollen kommen sie auf die Idee, das sich die Realität ändert. Das erscheint mir doch arg naiv und eher unwahrscheinlich.


    Die Geschichte hat eine religiöse/esoterische Komponente. Ryan ist durch und durch ein rational-wissenschaftlich denkender Mensch (umso mehr erstaunt es das er die Konsequenz ihrer Reise nicht durchdenkt). Er greift sogar zu einer Lobotomie, da er die Visionen seines Sohnes Jon für Degeneration hält. Er ist damit eigentlich genauso wenig rational wie die esoterische Richtung die er verhindern will durch diesen doch harschen Eingriff in den Kopf seines Sohnes.

    Durchschaubar ist die Geschichte, es ist ja direkt klar, das Jon das sieht, was am Ende an alternativer "Gegenwart" entsteht. Dick schlägt sich dann ja auch auf die Seite der Esoteriker in Gestalt des zweiten Reisenden Kastner.

    Die nichttechnische Welt ist die bessere (kein Krieg, blühende Landschaften, keine Städte, Metaphysik&Philosophie als wichtigste Errungenschaften der Menschheit.


    Spannendes Thema. Mir hat Jons Welt gut gefallen und man kann wirklich diskutieren, ob Fortschritt immer wünschenswert ist, die Ethik von Wissenschaft und ihren Erfindungen und natürlich das Wesen des Menschen an sich. Die Idee das die Vernichtung einer Idee samt eines Forschers dafür sorgt, das die Welt eine bessere wird, scheint mir aber bei aller Liebe doch arges Wunschdenken zu sein und somit gleitet die Geschichte hier für mich völlig ins Märchenhafte, auch wenn es natürlich seinen Charme hätte, wenn das so wäre.

  • Die Forschung Schonermanns kommt ja nicht aus dem off. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass sein Tod den wissenschaftlichen Fortschritt derart aufhält.


    Unklar ist, warum die SU plötzlich verloren hat. In Variante Zwei war sie kurz vorm Sieg, als die Greifer das Ruder herumrissen.


    Jons Visionen einer noch nicht in Gang gesetzten Parallelrealität erinnerten mich an Wells. Man weiß nie, was des Nachts aus den Tunneln kriecht.


    Zeitreisegeschichten bringen meistens Logiklöcher mit sich, Dick war davor auch nicht gefeit. Wenn ich die Papiere zur Entwicklung von KI klaue, bevor sie realisiert wird, brauch ich sie nicht mehr. Oder ich verschieb die Entwicklung nur um ein paar Jahre. Sie haben doch erfahren müssen, dass die Greifer-Idee blöd war. Wie auch immer ich mir diesen Plan überlege, er ist irgendwie sinnlos. Ich hätte ja gleich verhindert, dass die SU den Krieg beginnt. Aber vermutlich hatte Dick keinen Bock, sich wirklich mit der SU zu befassen. Ein gesichtsloser Feind ist praktischer.


    Ob die beiden Männer ein Paar waren? Vermutlich nicht. Über die Lobotomie entschied nur der Vater. Für mich war die Figur an der Stelle schon gestorben. Dass Dick über dieses Verbrechen einfach so hinwegging, bedeutet wohl, dass man 54 noch dachte, das sei ein gangbarer Weg unerklärliches Verhalten zu »heilen«.

    Insofern ist die Geschichte sehr schlecht gealtert. Es funktioniert heute alles nicht mehr so recht zusammen.


    Übrigens interessant, dass die schöne Zukunft eines US-Amerikaners klingt wie die schöne Zukunft, die wie in Kommunismus sahen. fre"$

  • Die Sowjets wurden in Variante zwei durch Propaganda gestürzt. Da legten die UN mehr Energie rein als die Greifervariante weg fiel.


    Bei der Bewertung der Lobotomie folge ich dir nicht. Dick stellt Ryan ja als rücksichtslosen Technokraten da, der am Ende den Status Quo samt Krieg zurück will. Der Eingriff beschreibt seinen Charakter.

  • In Variante zwei nicht. Da wurde ja frühzeitig auf Propaganda gesetzt, da die Greifervariante ja nicht existierte.

    Also nochmal für kleine Ralfis. SU greift überraschend an, dadurch Vorteil.


    erste Geschichte: Greifer werden entwickelt, nach Jahren wendet sich das Blatt

    zweite Geschichte: Greifer werden nicht entwickelt, deshalb Schwenk auf Propaganda, sofort wendet sich das Blatt?


    Das klingt nicht plausibel.

  • Die kosmischen Wilderer erschienen im July 1953 in Imagination

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/pl.cgi?58889


    Den einzigen weiteren Autor aus dem Band den ich kenne ist Mack Reynold, von dem hatten wir eine Übersetzung in Schiff der Spione bzw. Fantastic Pulp 1. Ein Eintrag ist sogar in der isfdb vorhanden:

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/title.cgi?2720512


    Die deutschsprachige Erstveröffentlichung erschien in Terra Astra 240:

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/pl.cgi?423419


    Inhalt:

    In einem gesperrten System tauchen Spinnen-Außerirdische auf und werden von den Terranern aufgebracht. Diese hatten irgendwas von jedem Planeten genommen so die Annahme und als sie die Frachträume durchsuchen finden sie Kristalle (oder waren es Juwelen, schon wieder vergessen). Pointenstory, die man schon nach zehn Prozent der Geschichte durchschaut hat.

    Das war überhaupt nix.

  • Der Titel "Die kosmischen Wilderer" klingt mal wieder eher nach einer Lovecraft-Geschichte. Mit dem ollen HP hat das Ganze aber nicht das Geringste zu tun. Anders als bei Lovecraft, dessen Xenophobie sich in unzähligen seiner Geschichten wiederfindet, sind hier nämlich die Menschen die Schurken bzw. die im Titel erwähnen „Wilderer“ - Und eben nicht die Weltraum-Spinnen.

    Was besagte Insekten auf dem Planten wollen, ahnt man allerdings wirklich sofort. Generell fallen die Geschichten in diesem Band bisher extrem überraschungsarm aus und sind mMn deutlich schwächer als die meisten Stories aus „Und jenseits - Das Wobb“. Besonders das Ende von „Die kosmischen Wilderer“ leidet stark an seiner Vorhersehbarkeit. Es wäre durchaus eine interessante/fiese Pointe gewesen, wenn man den „Twist“ denn nicht schon von Anfang an hätte kommen gesehen.

    Wesentlich besser fällt da schon der anschließende Perspektivwechsel aus, in dem der Überfall aus Sicht der Spinnen rekapituliert wird: Für sie ist das Handeln der Menschen nämlich völlig unbegreiflich und sie können absolut nicht verstehen, was diese denn mit den ganzen Spinneneiern wollen. Ein gelungenes Beispiel für misslungene völkische Verständigung. Rettet die Erzählung aber auch nicht mehr. (2,5/5)

  • Das wäre so eine typische Klischee-erfüllende US-SF-Story. Hätte ich die mit 18 gelesen, wären alle Vorurteile erfüllt gewesen.

    Space-Cowboys schießen und fragen nicht. Das ganze Universum gehört ihnen, andere Wesen sind minderwertig und haben böse Absichten.

    Vermutlich wollte Dick seine Terraner wie typische weiße US-Männer darstellen, aber es wurde keine gute Geschichte daraus. Vielleicht wissen wir heute auch einfach zu viel – bei Dick sind Spinnen sogar noch Insekten – alsdass uns die Geschichte irgendwo überaschen könnte.

  • Vermutlich wollte Dick seine Terraner wie typische weiße US-Männer darstellen...

    So habe ich das auch verstanden. Xenophobie war hier sicher das Hauptthema der Geschichte. Wie bereits erwähnt, fand ich diesbezüglich auch den Perspektivwechsel am Ende ganz nett. Genauso wie die Tatsache dass die seltsamen Riesenspinnen eben nicht "die kosmischen Wilderer" sind, sondern die Terraner. Für 50er Jahre Sci-Fi eher ungewöhnlich. Das ganze war aber natürlich trotzdem eher mittelmäßig.

    Absicht: Gut. Umsetzung: Ausbaufähig.

    ...bei Dick sind Spinnen sogar noch Insekten

    Okay. Den Fehler habe ich in meinem Text oben auch gemacht :/.