Philip K. Dick - Sämtliche 118 SF-Geschichten Band 2: Variante Zwei

  • Ausgehend von einer Diskussion in einem anderen Thread, entstand die Idee sich in einem Lesezirkel mit den Kurzgeschichten von Philip K. Dick zu beschäftigen. Als Grundlage für das "Projekt" soll der Haffmans-Schuber von Zweitausendeins dienen. Dieser enthält (gesammelt in fünf Bänden) sämtliche 118 Sci-Fi-Stories des Autors. Nachdem wir den ersten Band inzwischen gelesen haben, geht es nun mit Band 2 weiter.

    Die nächste Runde soll Mitte September starten. Bisher dabei sind: Mammut, lapismont und ich. Aber vielleicht möchte ja noch jemand einsteigen.


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    Band 2 trägt den Titel "Variante Zwei". Darin sind folgende Geschichten enthalten:


    - Die Keksfrau [The Cookie Lady]

    - Jenseits der Tür [Beyond the Door]

    - Variante zwei [Second Variety]

    - Jons Welt [Jon’s World]

    - Die kosmischen Wilderer [The Cosmic Poachers]

    - Nachwuchs [Progeny]

    - Gewisse Lebensformen [Some Kinds of Life]

    - Marsianer kommen in Wolken [Martians Come in Clouds]

    - Der Pendler [The Commuter]

    - Die Welt die sie wollte [The World She Wanted]

    - Ein Raubzug auf der Oberfläche [A Surface Raid]

    - Projekt: Erde [Project: Earth]

    - Der Ärger mit den Kugeln [The Trouble with Bubbles]

    - Frühstück im Zwielicht [Breakfast at Twilight]

    - Ein Geschenk für Pat [A Present for Pat]

    - Der Haubenmacher [The Hood Maker]

    - Von verdorrten Äpfeln [Of Withered Apples]

    - Menschlich ist … [Human Is]

    - Umstellungsteam [Adjustment Team]

    - Der unmögliche Planet [The Impossible Planet]

    - Hochstapler [Impostor]

    - James P. Crow [James P. Crow]

    - Planet für Durchreisende [Planet for Transients]

    - Kleine Stadt [Small Town]

    - Souvenir [Souvenir]

    - Vermessungsteam [Survey Team]

    - Prominenter Autor [Prominent Author]

  • Ich starte einfach. Die Keksfrau spielt mit den Erwartungen. Ein Junge besucht eine ältere Frau und liest ihr vor, bekommt dafür Kekse.

    Die alte Frau fühlt sich während des Vorlesens jung. Die Haut wird glatt, die Formen füllen sich, das Haar bekommt Farbe. Der Spuk ist vorbei als der Junge geht.

    Er kommt ein letztes mal, da seine Eltern ihm weitere Besuche untersagen, weil er müde danach ist.

    Das Ende macht aus einer SF/ Fantasy Geschichte eine Horrorstory. Klasse gemacht, hat mich berührt und gut unterhalten, wenn es inhaltlich auch eher konventionell ist.

  • „Komm rein, Bernard. Wie schön dich zu sehen. Ich fühle mich immer jung, wenn du mich besuchen kommst.“

    1953 in „Fantasy Fiction“ erschienen. Eine märchenhafte Geschichte, die einen anfangs sofort an „Hänsel und Gretel“ von den Gebrüder Grimm denken lässt. Bei Mrs. Drew handelt es sich jedoch nicht um eine kannibalistische Hexe, sondern um eine Art Energie-Vampir. Sie saugt kontinuierlich Bubbers a.k.a. Bernards Lebensenergie aus und wird dadurch verjüngt. Diese Transformation scheint jedoch an ein Ritual gekoppelt zu sein: Das Essen der Kekse, das Vorlesen… Zunächst ist auch nicht ganz klar, ob die beschriebene Verjüngung nicht nur rein metaphorisch zu verstehen ist (schließlich schein Bernard davon nichts zu bemerken), das Ende lässt dann aber keinen Zweifel darüber, dass hier echte Magie im Spiel ist. Wie von Mammut angemerkt, kippt das Ganze ab da klar in Richtung Horror.

    Die Moral von der Geschichte: Nimm nie Kekse von seltsamen, verschrobenen Frauen an!

    „Die Keksfrau“ ist ganz nett, aber auch etwas unspektakulär. Ein bisschen hat mich die Geschichte und Stimmung auch an Ray Bradburys „Something Wicked This Way Comes“ („Das Böse kommt auf leisen Sohlen“) erinnert. Kann man machen. (2,5/5)

  • Mit meinen Erwartungen hat die Keksfrau nicht gespielt. Vielleicht denke ich einfach nicht so gruselig wie ihr. Nan"§


    Eine kleine Gruselgeschichte ohne Tiefgang. Hätte mich als Kind wohl darüber geärgert, dass hier ein dicker Junge triebgesteuert zum Opfer wird.

  • Vielleicht denke ich einfach nicht so gruselig wie ihr.

    Absolut begeistert hat mich "Die Keksfrau" ja auch nicht - Siehe Bewertung.


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    Jenseits der Tür:

    Worum geht’s: Als Doris von ihrem Mann Larry eine deutsche Kuckucksuhr geschenkt bekommt, ist sie von ihr sofort fasziniert und behandelt den Kuckuck schnell wie ein richtiges Lebewesen. Larrys scheint der mechanische Vogel jedoch schon bald in den Wahnsinn zu treiben. Als ihn dann auch noch Doris verlässt, nimmt die Katastrophe ihren Lauf.


    Mit 8 ½ Seiten mal wieder eine sehr kurze Geschichte. Sie erschien 1954 in „Fatastic Universe“, geschrieben wurde sie allerdings schon 2 Jahre zuvor. Vor ihrer Veröffentlichung hatte Dick erfolglos versucht sie im „Esquire“ und in „Today’s Woman“ unterzubringen. Eigentlich hieß sie auch „The Cuckoo Clock“, doch genau wie es schon mit „Entbehrlich“ geschehen ist, wurde sie vom Magazin einfach eigenmächtig umbenannt. In Frankreich gibt es überraschenderweise sogar eine PKD-Storysammlung, die den Titel der Geschichte trägt. Das liegt aber wahrscheinlich weniger an der Bekanntheit oder Qualität der Story (sie ist nämlich nicht besonders gut), sondern eher an der Tatsache, dass „Beyond the Door“ bzw. „Derriere la porte“ irgendwie mysteriös klingt und einen unweigerlich an „Twilight Zone“ denken lässt.

    Mit Sci-Fi hat „Jenseits der Tür“ jedoch nichts zu tun - Stattdessen handelt es sich mal wieder um eine reine Fantasy-Geschichte. Die Prämisse erinnert dabei etwas an „Das kurze glückliche Leben“ und „Die kleine Bewegung“, denn wir haben es hier erneut mit einem belebten Gegenstand zu tun. Oder vielleicht auch nicht? Dick lässt das offen.

    Ansonsten gibt es hier die typischen Eheprobleme, wie wir sie vor allem aus Dicks (größtenteils unerträglichen) Mainstream-Romanen kennen. Sympathieträger gibt es jedenfalls keine. Doris ist völlig neurotisch (quelle suprise), Larry ein chauvinistischer Vollpfosten... Die Kuckucksuhr ist hier also eindeutig nicht das einzige, was in dieser Geschichte nicht richtig tickt. Die Schlusspointe ist dann ebenfalls noch recht vorhersehbar. MMn eine äußerst verzichtbare Angelegenheit. (1,5/5)

  • Variante Zwei:

    Der dritte Weltkrieg befindet sich in der Endphase. Im Kampf gegen die Sowjetunion (natürlich!) haben die Amerikaner die sogenannten Greifer entwickelt - Schwebende Metallkugeln mit rasiermesserscharfen Waffen, die ihre Gegner innerhalb weniger Sekunden völlig zerfetzen können.

    Als ein paar US-Soldaten eine Botschaft der Sowjets erhalten, macht sich Major Hendricks sofort auf den Weg ins feindliche Lager. Unterwegs trifft er einen kleinen Jungen und nimmt ihn mit. Doch David benimmt sich äußerst merkwürdig. Hendricks führt das auf ein erlebtes Trauma zurück. Ein Fehler, wie sich schon schnell herausstellen soll…


    Mal wieder eine Kriegsgeschichte (Gähn!). Wie u.a. in „Die Verteidiger“ lassen die Menschen hier Maschinen für sich kämpfen. Doch die Greifer scheinen selbst ihren eigenen Schöpfern Angst zu machen - Diese fragen sich permanent, ob sie bei deren Entwicklung nicht vielleicht doch zu weit gegangen sind. Andererseits: „Wenn wir sie nicht erfunden hätten, dann der Iwan.“ Dick spielt hier wahrscheinlich auf die Erfindung der Atombombe (bzw. das Manhattan-Projekt) an.

    Durch den Krieg ist die Erde jedenfalls fast vollständig vernichtet und größtenteils unbewohnbar geworden. „Europa existiert nicht mehr, es war nur noch ein Haufen Schlacke, auf dem aus Asche und Knochen dunkles Gestrüpp wucherte.“ Die Regierung der USA ist daher schon längst auf den Mond übergesiedelt (Elon Musk verfolgt momentan ja gerade ähnliche Pläne).

    Auf der Erde scheinen sich die Greifer währenddessen ungehindert und eigenständig weiterzuentwickeln/ zu evolutionieren, denn sie sind und „waren nicht wie andere Waffen. Praktisch gesehen waren sie lebendig, ob die Regierungen das nun zugeben wollten oder nicht.“ Das erinnert wiederum an die Black Mirror-Folge „Metalhead“, die sich sehr, sehr großzügig bei „Variante Zwei“ bedient.


    Im späteren Verlauf wirkt die Geschichte dann jedoch zunehmend wie eine erste Fingerübung für „Blade Runner“ (fast unbewohnbare Erde, Weltraum-Kolonien, Androiden, deren Menschlichkeit verhandelt wird usw.). Das hinter David ein Roboter steckt, ahnt man als Leser allerdings recht früh. Mit ihm präsentiert uns Dick aber durchaus eine recht interessante Variante eines Kindersoldaten. Die Idee dahinter: Der Feind tarnt sich in der Gestalt eines kleinen Jungen mit Teddybär, um möglichst unschuldig zu wirken und bei den Menschen sofort Vertrauen/Mitleid zu erwecken. So schleusen sie sich in menschliche Lager ein, um diese anschließend vollständig auszulöschen. Im Prinzip nutzen sie bei den Menschen also die eine Sache aus, die ihnen selbst fehlt - Empathie.

    Von David (Variante 3) gibt es unzählige Kopien, die alle gleich aussehen. Passenderweise trägt das Modell den gleichen Namen wie der Android aus Ridley Scotts „Prometheus“ (ebenfalls ein „Freund“ der Menschen). Bei Variante 1 (der ebenfalls auf das erwähnte Empathie-Prinzip setzt) handelt es sich übrigens um einen verwundeten Soldaten, der sein Opfer um Hilfe bittet. Wer oder was hinter der titelgebenden Variante 2 steckt, weiß zunächst niemand.

    Mit den Klonkriegern hat Dick aber jedenfalls eine ziemlich unheimliche Bedrohung geschaffen, die längst nicht mehr zwischen Freund und Feind bzw. Ami und Sowjet unterscheidet und einfach alles und jeden vernichtet - Auch ihre eigene Spezies. In diesem Punkt sind sie also wirklich die perfekten Imitationen von uns.


    Die zweite Hälfte der Geschichte (Hendricks Aufenthalt hinter feindlichen Linien + der anschließende Kampf) ist dann aber recht langatmig ausgefallen. Schnell wird die gegenwärtige Sachlage geklärt, danach gibt es überwiegend belanglosen Smalltalk, Kippen und jede Menge Action. 20 Seiten weniger, hätten der Geschichte durchaus gut getan.

    Was mir jedoch gut gefallen hat, ist die immer größer werdende Paranoia, die sich wie ein Virus unter den überlebenden Menschen ausbreitet. Befindet sich Variante 2 eventuell schon längst unter ihnen? Niemand traut seinem Gegenüber und schnell kommt es zum ersten Toten. Das hat natürlich deutliche Parallelen zu „The Thing“/"Who goes there?", wird von Dick aber ziemlich gelungen umgesetzt.

    Das Ende ist dann allerdings leider auf der Negativ-Seite zu verbuchen, denn es fällt mal wieder extrem vorhersehbar und überraschungsarm aus. Es erscheint mir auch nur wenig glaubwürdig bzw. extrem naiv, dass Hendricks die Sache erst so spät durchschaut. Als Leser ist man ihm da schon mindestens zwei Schritte voraus.


    „Variante Zwei“ wurde erstmals 1953 in „Space Science Fiction“ veröffentlicht. Es handelt sich um eine relativ bekannte und beliebte Geschichte. Keine PKD-Story wurde in Amerika öfters in Sammlungen und Anthologien veröffentlicht. Im Anhang sagt Dick zur Handlung: „Mein großes Thema - wer ist Mensch und wer scheint nur (maskiert sich nur als) Mensch? - kommt hier voll zum Tragen. Wenn wir nicht individuell oder kollektiv eine sichere Antwort auf diese Frage geben können, sehen wir uns meiner Ansicht nach, dem ernstesten möglichen Problem gegenüber. Können wir die Frage nicht hinreichend beantworten, dann können wir uns unseres eigenen Ichs nicht mehr sicher sein. Ich kann nicht einmal mich selbst kennen, geschweige denn einen anderen. Also arbeite ich weiter an diesem Thema; für mich gibt es keine wichtigere Frage. Und eine Antwort ist schwer zu finden.“

    MMn hat Dick die Idee in Geschichten wie „Hochstapler“ oder dem bereits erwähnten Roman „Blade Runner“ später jedoch wesentlich überzeugender und tiefsinniger umgesetzt. (2,5/5)

  • Ja, wie soll man eine solche Geschichte bewerten. Die Idee der sich selbst entwickelnden künstlichen Intelligenz ist schon bitter. Die Weiterentwicklung von Waffen ist beängstigend, egal ob es sich um immer stärkere Bomben oder Drohnen handelt. Eine menschenähnliche Waffe wie in der Geschichte gibt es wohl hoffentlich noch nicht.


    Ich fand die Geschichte auch sehr voraussehbar, hatte sie aber auch schon mal gelesen, daher ist das für mich nur bedingt bewertbar.


    Ich fand aber die Frage, was ein Mensch ist, hier nur bedingt hinterfragt. Die Imitation ist so gut, es sind keine Unterschiede erkennbar, das klammert Die Frage ja eigentlich aus. Dick stellt die Androiden genau wie Menschen da und verschenkt das Potenzial der Frage.


    Ich fand übrigens in diesem Aspekt Das Ding aus einer anderen Welt spannender und gelungener. Da ich das Ding allerdings vorher kannte, mag das diesem Umstand geschuldet sein.


    Bin auch der Meinung die Geschichte hätte gekürzt werden müssen.

  • Ich fand die Geschichte auch sehr voraussehbar (...) Ich fand aber die Frage, was ein Mensch ist, hier nur bedingt hinterfragt. (..) Bin auch der Meinung die Geschichte hätte gekürzt werden müssen.

    Stimme dir in allen Punkten zu.


    Bisher herrscht hier sowieso recht viel Einigkeit. Fast schon beängstigend :D.