Philip K. Dick - Sämtliche 118 SF-Geschichten Band 2: Variante Zwei

  • Nachwuchs

    Worum geht’s: Ed Doyle ist gerade Vater geworden. Sein sehnlichster Wunsch ist es seinen Sohn Peter in den Arm und anschließend mit nach Hause zu nehmen. Bei seiner Frau und dem mechanischen Arzt sorgt er damit allerdings für blankes Entsetzen - Denn Kinder werden in der Zukunft nur noch von Robotern erzogen. Die Eltern dürfen ihren Nachwuchs erst wieder im Erwachsenenalter sehen. Ein Zustand der Ed nicht akzeptieren will…


    „Du weiß, daß wir ihn nicht berühren dürfen. Was hast du vor, willst du sein ganzes Leben ruinieren? (…) Es ist nicht abzusehen, welchen Schaden du angerichtet hast. Vielleicht ist er bereits hoffnungslos gestört. Wenn er sich ganz gestört und- und neurotisch und leicht erregbar entwickelt, dann ist das deine Schuld.“

    1954 im If-Magazin erschienen. Eine recht trostlose, aber mMn auch äußerst gelungene Geschichte. Die Menschen sind hier eigentlich nur noch für die Reproduktion ihrer Spezies zuständig, den Rest übernehmen Maschinen. Denn Roboter werden nicht wütend, schlagen keine Kinder, brüllen sie nicht an, streiten nicht miteinander und am wichtigsten - Es kann kein Ödipuskomplex entstehen :D. In die Obhut ihrer Eltern werden sie erst nach dem Erreichen der Volljährigkeit übergeben, da die Menschen dann (so zumindest die Theorie der Erziehungs-Bots) keinen allzu großen Schaden mehr anrichten können. Dick spinnt hier also im Prinzip die Idee von „Nanny“ weiter.


    Nach 9 Jahren wird es Ed schließlich erlaubt seinen Sohn für 90 Minuten zu sehen. Er muss jedoch feststellen, dass Peter keine Bindung zu und auch kein Interesse an ihm hat. Eigentlich hat er sogar das Interesse an seiner gesamten Spezies verloren. Auch weil Menschen immer so furchtbar stinken.

    Wir erfahren hier auch grob wie die Erziehung der Roboter aussieht: Sie untersuchen welche Veranlagung ein Kind hat und fördern/unterrichten ihn dann in diesem Bereich - Und zwar ausschließlich in diesem Bereich. Peter ist ein Genie und hat die Chance der beste Biochemiker der Welt zu werden. Dementsprechend weiß er alles über Biochemie, sonst aber so gut wie nichts! (Dieser Sachverhalt wäre übrigens eine plausible Erklärung für die ganzen Fachidioten in „Der variable Mann“ gewesen.)

    Ein weiterer Nachteil, den Ed schnell erkennen muss: Wer von Robotern erzogen wird, wird irgendwann selbst einer. Ein ähnliches Phänomen wie man es bspw. bei den sogenannten „Wolfskindern“ beobachten kann. Die Prämisse erinnert auch etwas an die aktuelle Sci-Fi-Serie „Raised bei Wolves“. Hat mir jedenfalls gut gefallen. (4/5)

  • Ich fand den Ansatz der Geschichte sehr interessant. Aufzucht durch Roboter, eine völlig sterile Entwicklung für die Kinder, die überhaupt keinen Kontakt zu menschlichen Lebewesen haben.

    Dagegen der Vater, völlig emotional, mit der Sehnsucht nach dem Wilden Westen dem wahren Leben in der Natur bzw. Der Herausforderung im Sirius System.

    Der Gegensatz von Vater und Sohn ist ein wirklich interessantes Szenario.

    Gute Idee, schlecht gemacht. Dick macht daraus eine kurze und wenig interessante Geschichte bei der alles offen bleibt, was man aus dem Szenario hätte machen können.

    Ich kann deine Begeisterung leider nicht teilen.

  • Ich fand den Ansatz der Geschichte sehr interessant. (...) Dick macht daraus eine kurze und wenig interessante Geschichte bei der alles offen bleibt, was man aus dem Szenario hätte machen können.

    Das Ende ist doch recht endgültig, konsequent und mMn auch ziemlich hart.

    Meine Punktevergabe war eventuell etwas zu euphorisch, nach den ganzen mittelmäßigen Stories in diesem Band, war "Nachwuchs" für mich allerdings tatsächlich ein kleiner Lichtblick.

  • Die Thematik ist interessant, aber ich stimme Micha zu, als Story nur sehr begrenzt unterhaltsam. Dick hat da echt Probleme, emotionale Probleme so an Figuren zu binden, dass man mit ihnen fühlt.

    Ich hab auch das Grundkonstrukt nicht verstanden, eine Familie gründen zu wollen, wenn man Lichtjahre entfernt arbeitet.

  • Dick hat da echt Probleme, emotionale Probleme so an Figuren zu binden, dass man mit ihnen fühlt.

    Ein geliebter Mensch wird durch jahrelange Indoktrination zur Maschine gemacht und ist am Ende nicht mal mehr zur kleinsten Gefühlregung fähig. Ich fand die Vorstellung ziemlich alptraumhaft.

    Ich hab auch das Grundkonstrukt nicht verstanden, eine Familie gründen zu wollen, wenn man Lichtjahre entfernt arbeitet.

    Dick entwirft hier ja auch eine dystopische Zukunft. Durch die Übernahme der Maschinen ist das Konzept "Familie" dort von Anfang an völlig überholt bzw. eigentlich gar nicht mehr existent. Es geht nur noch um Reproduktion.

  • Das habe ich schon verstanden, aber den Konflikt zwischen den verschiedenen Lebensweisen reißt Dick nur an, er spielt ganz die Pointen-Karte aus. Das ist ja seine KG-Theorie, bloß nicht das Thema näher beleuchten. Hier war mir das zu wenig.

  • ...aber den Konflikt zwischen den verschiedenen Lebensweisen reißt Dick nur an, er spielt ganz die Pointen-Karte aus. Das ist ja seine KG-Theorie, bloß nicht das Thema näher beleuchten.

    Naja, das Ergebnis des Konflikts ist eben die totale Entfremdung. Und zwar so das ein Miteinander nicht mehr möglich ist. Wie schon geschrieben, fand ich das recht konsequent und endgültig. Mehr Exploration habe ich da eigentlich nicht gebraucht. Zumal ich auch nicht wüsste, wie diese hätte aussehen sollen.


    In der von mir erwähnten Serie "Raised by Wolves" (läuft momentan auf Sky) geht es übrigens auch um die Erziehung von Menschen durch Androiden. Kann ich sehr empfehlen...

  • Unter dem Pseudonym (passt ja zur aktuellen Diskussion^^) Richard Phillips erschien Some Kind Of Life 1953:

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/pl.cgi?89676


    Als Gewisse Lebensformen 1986 auf Deutsch

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/pl.cgi?412479


    Das Sonnensystem ist überall besiedelt und von allem braucht man was um ein modernes Leben zu führen. Nur doof, alle EIngeborenen (Mars, Venus, Saturn, Callisto, etc.) proben Aufstände und so führt die Menschheit gegen alle Krieg. Auch die Familie Clark ist betroffen. Erst erwischt es den Mann, für seinen Sohn werden die Gesetze geändert, damit auch der in den Krieg darf, denn das Menschenmaterial geht aus.

    Die Frau ahnt was kommt, verliert erst den Sohn und dann werden Frauen eingezogen.


    Jahre später kommen Orioaner zur Erde, doch dort sind nur die berühmten Hinterlassenschaften, die Erdlinge selbst sind ausgestorben.


    Böse Satire über eine Gesellschaft, die andere ausnutzt und das mit Gewalt. Kann man auf die Sklaverei beziehen, auf diverse Kriege, auf das kapitalistische System. An sich simpel die Story, ist sie aber gerade darin sehr intensiv und vor allem effektiv in der Vermittlung der Unsinnigkeit einer solchen Vorgehensweise.

    Tja, so wie wir es jetzt mit der Ausbeutung unseres Planeten machen. Wobei ich ja optimistisch bin, das uns es irgendwie gelingt, trotzdem ein lebenswertes Leben zu führen, auch bei einer Temperaturerhöhung von 6 Grad.

    Werde ich nicht erleben, dafür bin ich zu alt.


    Insgesamt ist "Gewisse Lebensformen" (der Titel erschließt sich mir nicht. Habt ihr eine Idee?) eine nette Satire, aber auch nicht sonderlich überragend. Dafür schön böse![Skl]

  • Unter dem Pseudonym (passt ja zur aktuellen Diskussion ^^ ) Richard Phillips erschien Some Kind Of Life 1953

    Der falsche Name wurde allerdings vom Magazin (nicht von PKD) gewählt. Und zwar weil in der gleichen Ausgabe bereits eine andere Story von Dick enthalten war und man diesen Umstand (warum auch immer) verschleiern wollte.


    Zum Inhalt:

    Dick-Pessimismus in Reinform. Ungewöhnlich an dieser Geschichte ist allerdings die Tatsache, dass sich Bob anscheinend in einer glücklichen Ehe befindet. Wahrscheinlich muss er auch deswegen sofort sterben :D.

    Kann man auf die Sklaverei beziehen, auf diverse Kriege, auf das kapitalistische System.

    Habe das Ganze auch überwiegend als Kapitalismus-Kritik bzw. als Kritik am Egoismus seiner Profiteure verstanden. Der Mensch im Luxus, der sich gnadenlos auf Kosten von Anderen bereichert. Auf ein bisschen zu verzichten, damit es allen gut geht, scheint unvorstellbar. Denn es wird ihnen permanent eingetrichtert, dass sie den ganzen Müll unbedingt brauchen… so lange bis sie es schließlich selbst glauben. Die Welt ist in „Gewisse Lebensformen“ dementsprechend auch vollkommen technisiert. Eigentlich muss man dort gar nichts mehr selbst machen, Maschinen übernehmen jeden Job. Der Mensch wird dabei immer überflüssiger. Für die unnötigsten Dinge wird er in den Krieg geschickt. Der Kapitalismus frisst seine Kinder.


    Gleichzeitig wird hier aber auch noch die Rekrutierungsmache des US-Militärs durch den Kakao gezogen, welche Krieg wie einen großen Spaß aussehen lässt, die Kinder dabei aber, wie der Rattenfänger von Hameln, in ihren sicheren Tod lockt („Ja, wir amüsieren uns glänzend“). Und so findet auch Bobs Sohn sein Ende. Gestorben um das Material zu gewinnen, das man benötigt, damit sich Türen automatisch öffnen und man nicht (wie in frühester Steinzeit) ständig einen Schlüssel bei sich tragen muss. Danach ist dann seine Mutter dran... Doch wenn keiner mehr übrig ist, wer soll die ganzen Luxusgüter überhaupt noch konsumieren?

    Das Ende mit den Außerirdische, die auf einer völlig menschenleeren Erde landen und sich wundern, wo denn alle Menschen geblieben sind, fand ich ebenfalls ziemlich stark. „Wenn die Terraner nicht zurückkehren (…) dann wird das eines der größten Rätsel für die Archäologie sein.“


    Die Geschichte hört sich vielleicht etwas platt an, ist aber auch völlig bewusst "over the top" und lebt primär von ihrem extrem schwarzen Humor. Auch wenn einem das Lachen schnell im Hals stecken bleibt.

    Hat mich daher sehr stark an Harlan Ellison erinnert. Fieser hätte es der alte Grieskram auch nicht zustande gebracht. (4,5/5)

    der Titel erschließt sich mir nicht. Habt ihr eine Idee?

    Der Titel klingt ja schon sehr abschätzig und bezieht sich mMn auf die Menschen bzw. deren unsinniges Verhalten. Im Sinne von "Gewisse Lebensformen wollen es einfach nicht lernen". Man kann es aber auch auf die ganzen Lebensformen beziehen, die von den Menschen ausradiert werden, damit diese ihr bequemes Luxusleben weiterführen können.

  • Sehr gute Story, letztlich eine bitterböse Groteske über die Sinnlosigkeit von Armee und Krieg. Konsumkritik findet sich ebenso wie die Hinterfragung von Technologiegläubigkeit.

    Kriege wegen Öl und seltener Erden, damit eine gewisse Alexa das Licht einschaltet, sind gar nicht so utopisch.

  • Marsianer kommen in Wolken

    Worum geht’s: Wie der Titel schon sagt: Marsianer kommen in Wolken zur Erde - Hunderte. „Überall auf der Welt - wie Blätter. (…) Wie eine Menge trockener Blätter, die der Wind herunterweht.“

    Ein Phänomen, das sich alle paar Jahre wiederholt. Die Menschen holen sie allerdings immer wieder mit Stangen vom Himmel, um sie anschließend zu töten.

    Als sich der elfjährige Jimmy auf dem Nachhauseweg befindet, trifft er auf einen dieser Marsianer (die Menschen nennen sie „Wanzen“). Er versetzt Jimmy in eine Art Trance und zeigt ihm Bilder ihrer Heimat. Die darin enthaltene Botschaft kommt allerdings nicht an…


    1953 in „Fantastic Universe“ erschienen. Dick beschreibt hier wirklich eine sehr skurrile Form einer „Alien-Invasion“ und setzt sich dabei erneut mit der Xenophobie der Menschen auseinander. Jedoch wesentlich gelungener und auch sehr viel surrealer als in „Die kosmischen Wilderer“.

    Das Aussehen der Wanzen hat mich etwas an Eichenprozessionsspinner erinnert, die hierzulande ja immer mehr zur Plage werden. Passenderweise versteckt sich eine von ihnen dann auch noch in einem Baum - Und versetzt Jimmy in Trance:

    „Es war wie ein Summen, ähnlich wie Meeresrauschen, in seinem Kopf. Das Summen plätscherte gegen seine Gedanken und umspülte sie sanft (…) Es begann, sich aufzuspalten und Gestalt anzunehmen - Gestalt und Substanz. Es floß, zerbrach in einzelne Sinneswahrnehmungen, Bilder, Szenen. (…) Die Wanze sprach zu ihm, erzählte ihm von ihrer Welt, spann mit ängstlicher Hast Szene an Szene.“

    Eine extrem hypnotische Geschichte, die einem beim Lesen selbst in eine leichte Trance versetzen kann. Die Szene wie die außerirdische Lebensform in das Denken von Jimmy eindringt, ist jedenfalls großartig beschrieben. Mich hat das Ganze auch etwas an „Die Pfeifer im Wald“ erinnert. Eine Geschichte, die außer mir, hier ja niemanden gemocht hat. Ich könnte mir daher gut vorstellen, dass ich mit meiner Begeisterung auch dieses Mal wieder alleinstehen werde. Ich bin der Hypnose der Wanzen jedenfalls absolut verfallen...

    Dick beschreibt hier Wesen, die uns so fremd sind, dass wir sie unweigerlich als unheimlich bzw. als Bedrohung wahrnehmen. Dabei handelt es sich bei den Wanzen jedoch eigentlich um friedliche Lebewesen, die als Hilfesuchende zu uns kommen. Verzweifelt senden sie ihre Botschaft in die Köpfe der Menschen. Doch diese können sie nicht verstehen. Wollen sie nicht verstehen. Schlimmer noch, ihr Nichtverstehen bzw. ihre Ignoranz erfüllt sie sogar noch mit Stolz. Ließ mich unweigerlich an die Flüchtlingskrise denken. (5/5)