Philip K. Dick - Sämtliche 118 SF-Geschichten Band 2: Variante Zwei

  • Aber warum dann der Name? Jim Crow ist das Synonym für Rassentrennung.

    Um mal aus Wiki zu zitieren: "Jim Crow [ist] zu einer Bezeichnung für das umfassende System zur Aufrechterhaltung einer Rassenhierarchie in allen Bereichen der amerikanischen Gesellschaft geworden."

    Er kann aber doch genauso gut dafür genutzt werden, um eben genau diese Hierarchie zu kritisieren. In der reinen Nutzung des Namens steckt doch noch keine Pro-Rassentrennung-Botschaft. Er ist einfach nur ein Synonym für das System, welches Dick in seiner Geschichte aufzeigen möchte. Hier ist er jedoch nicht der "einfältige, faule Schwarze", sondern ein ziemlich cleverer Kerl, der sich erfolgreich gegen seine Unterdrücker behauptet. Die "negative Figur" wird völlig neu besetzt.

    Was du bei deiner Interpretation mMn auch vergisst, ist die Familie, die in der Geschichte (aus gutem Grund immer wieder) auftaucht. Sie leidet unter der systematischen Unterdrückung, glaubt aber immer noch fest daran, es eines Tages zu schaffen. Wie der Leser, die Maschinen und auch Jim Crow weiß, ist dies jedoch völlig ausgeschlossen. Diese Familie steht stellvertretend für die gesamte Menschheit/PoC - Nicht Jim Crow. Er ist nur ein (weiteres hierarchisches?) System .

    Da Ende ist offen, aber der Weg dahin und die Beschreibung von Jim Crow lässt eigentlich auf ein positives Ende hoffen.

    Kann man unterschiedlich sehen. Es ist aber natürlich nichts ausgeschlossen, dass Crow tatsächlich der erhoffte Messias ist. Daher schrieb ich ja auch "Zumindest wenn man hier die pessimistische Interpretationsweise wählt".

    Ich möchte dir also nicht widersprechen.

  • Ich schrieb, ja, die Einordnung fällt mir schwer. Man diskutiert ja über der Dick aus den frühen Fünfzigern und weiß nicht recht, was er kannte, was er er verstand, usw. Mir fehlt da der direkte Kontext. Es ist ja danach noch extrem viel passiert.

  • Planet für Durchreisende

    Mich schrieb ja schon was dazu. Sehr schön geschriebene Story. Viele Beschreibungen der Natur, etwas zu den Mutationen, giefiel mir in diesen Details. Klar, klassische Bunkerstadtdystopie mit großer moralischer Keule am Schluss, aber ich hab das kurzzeitige Verlassen der Vorstädte genosssen.

  • Zu "James P. Crow":

    Ich schrieb, ja, die Einordnung fällt mir schwer.

    Okay, für mich kam es so rüber, als würdest du die Geschichte als klar rassistisch verbuchen. Ich habe sie allerdings ganz anders gelesen... was jedoch nicht heißen muss, dass ich diesbezüglich richtig liege. Ich hoffe es aber mal. Ansonsten wäre das Ganze schon ziemlich widerlich.

    Aber: Im Zweifel für den Angeklagten :D.

    Zumal Dick politisch gesehen ja eigentlich links war.

    Und der Held seines ersten Romans ist auch eine Person of Color.


    Zu "Planet für Durchreisende":

    Aber der Kniff, das man die Erde den überlebenden Spezies überlässt statt sie wieder herzustellen, weil man sie selbst verändert hat, die gefällt mir ausgesprochen gut.

    Fand ich auch wirklich schön. Gerade in Verbindung mit dem Titel bzw. der Aussage, die dahinter steht. Die Menschen sind hier ungewöhnlich empathisch und wenig egozentrisch für eine PKD-Geschichte. Fast schon philanthropisch :D.

    Viele Beschreibungen der Natur, etwas zu den Mutationen, gefiel mir in diesen Details.

    Zumal die unterschiedlichen Mutationen alle recht interessant ausfallen. Von der Stimmung her, hat mich das an die frühen Romane der Strugatzkis erinnert.


    Apropos: "Und im Norden leben ein paar von diesen Unterirdischen - die blinde, grabende Sorte" heißt es an einer Stelle in "Planet für Durchreisende". Die Idee wird Dick später nochmal in "Die Kriecher" aufnehmen. Wenn ich mich richtig erinnere, war das eine sehr seltsame, aber auch sehr lesenswerte Geschichte.

    Klar, klassische Bunkerstadtdystopie

    So typisch fand ich das gar nicht. Statt der üblichen Post-Apokalypse in Grau/Braun, voller Ruinen und primitiver, zombiefizierter Mutationen, ist die Welt hier doch recht bunt und munter. "Die Erde lebt, sie strotzt vor Leben. Alles wächst wild in alle Richtungen." (3/5)

  • Small Town erschien 1954 in Amazing Stories:

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/title.cgi?58245


    Auf Deutsch erschien sie erstmals 1981 als Kleinstadt in Der goldene Mann:

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/pl.cgi?379138


    Die Geschichte handelt von frustrierender Monotonie und wie ein Mann aus diesem Kreislauf ausbricht. Die Geschichte führt einen dabei langsam dorthin, man glaubt, einen Spinner vor sich zu haben, aber der Einbruch in die Realität erfolgt dann zwar mit Ankündigung, aber plötzlich und ist irgendwie auch erschreckend. Hat eine unheimliche Note diese Idee und spielt damit, das der kleine Mann viel mehr kann als er denkt.

    Gefällt mir ausgesprochen gut. Endlich mal kein Krieg und keine vorangegangener Atomkrieg. Super!

  • Klar, der Horror-Aspekt ist schon cool umgesetzt, aber wieder einmal haben wir das Klischee der verräterischen, ehebrechenden Hausfrau. Vielleicht wollte Dick ein wenig Shakespeare-Drama. Auf jeden Fall kümmert sich Dick nicht um Logik, ihm geht es mehr um den Wechsel von Realität und Traumwelt. Stoff wie später bei Roald Dahl.

  • ...der Einbruch in die Realität erfolgt dann zwar mit Ankündigung, aber plötzlich und ist irgendwie auch erschreckend.

    Stimmt. Allerdings weiß man schon nach der ersten Seite worauf am Ende alles hinauslaufen wird.

    Das Thema ist ja typisch Dick, er hat es mMn aber schon mal wesentlich besser umgesetzt.

    ...aber wieder einmal haben wir das Klischee der verräterischen, ehebrechenden Hausfrau.

    So sieht es aus. Bisher waren die Männer dieser Ehefrauen fairerweise aber auch immer absolute Arschlöcher. Und hier sieht es ja nicht anders aus. Haskel ist ein unglaublich jämmerlicher angry white man, der einfach nicht versteht, dass nicht alles so läuft, wie er es gerne möchte und sich daher seine eigene kleine Welt erschafft, die ihn nicht überfordert und über die er schalten und walten kann, wie er will. Er leugnet die Wirklichkeit und lebt in seiner eigenen Traumwelt.

    In "Jenseits der Tür" (Arschloch-Mann/fremdgehende Frau) wurde der chauvinistischer Vollpfosten am Ende allerdings vom Kuckuck bestraft bzw. getötet und die Frau fand ihr Glück in den Armen eines Anderen - Hier wird Haskel am Ende zu einem Gott und rächt sich an jedem, der ihn (seiner Meinung nach) ungerecht behandelt hat. Kann man ja durchaus machen. Ich frage mich aber, was Dick uns damit sagen will bzw. wer hier eigentlich der Böse sein soll. Seine Anmerkung im Nachwort liest sich jedenfalls fast so, als stünde er auf Haskels Seite. Ich fand Haskel hingegen unausstehlich und völlig armselig. (Übrigens einer der Gründe, warum ich einen Großteil von Dicks Mainstream-Romane für unlesbar halte - Die männlichen Protagonisten sind fast immer unerträglich kleingeistige Idioten...)

    Auf jeden Fall kümmert sich Dick nicht um Logik, ihm geht es mehr um den Wechsel von Realität und Traumwelt.

    Absolut. Wie es zum Wechsel kommt, wird nie geklärt. Muss es aber auch nicht. Dass Tyler (der Geliebte von Haskels Frau) dies aber völlig seelenruhig hinnimmt und auch sofort für völlig logisch und die einzig mögliche Erklärung hält, erschien mir dann doch sehr seltsam.

    War der nicht tausendmal verheiratet?

    Fast. Insgesamt war Dick 5 mal verheiratet:

    - Jeanette Marlin (May - November 1948)

    - Kleo Apostolides (June 14, 1950 - 1959)

    - Anne Williams Rubinstein (April 1, 1959 - October 1965)

    - Nancy Hackett (July 6, 1966 t- 1972)

    - Leslie "Tessa" Busby (April 18, 1973 - 1977)

  • Stimmt. Allerdings weiß man schon nach der ersten Seite worauf am Ende alles hinauslaufen wird.

    Das Thema ist ja typisch Dick, er hat es mMn aber schon mal wesentlich besser umgesetzt.


    So sieht es aus. Bisher waren die Männer dieser Ehefrauen fairerweise aber auch immer absolute Arschlöcher. Und hier sieht es ja nicht anders aus. Haskel ist ein unglaublich jämmerlicher angry white man, der einfach nicht versteht, dass nicht alles so läuft, wie er es gerne möchte und sich daher seine eigene kleine Welt erschafft, die ihn nicht überfordert und über die er schalten und walten kann, wie er will. Er leugnet die Wirklichkeit und lebt in seiner eigenen Traumwelt.

    Ja, das ist die Schwäche der Geschichte. Man weiß es schon fast bevor sie überhaupt beginnt.


    Also ich fand den Haskel nicht so schlimm. Auf jeden Fall nicht schlimmer als sein Weib. Die war mir noch wesentlich unsympathischer.


    Nächste Geschichte

    Souvenir erschien in Fantastic Universe, zusammen mit Storys von Robert Sheckley, Philip Jose Farmer und FRank Belknap Long

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/pl.cgi?89686


    Eine vergessene Welt wird nach 300 Jahren wiederentdeckt. Die Welt von Williamson, dem ersten, der jemals das SOL System verlassen hat. Aber es ist eine rückständige Welt, die Bewohner leben in Clans, führen Ritterspiele auf und entwickeln sich eher rückwärts, obwohl es schon Technik und Industrie gibt. Sie wissen seit hundert Jahren von Relais, einem weltenumspannenden Netz, mit dem alle Planetensysteme auf einem gleichen Niveau gehalten werden. Willamsons Welt hat die Wahl, sich anzuschließen und gleich zu machen oder vernichtet zu werden.

    Die Siedler widersetzen sich und so wird der Planet in die Luft gesprengt. Na, immerhin hatten sie sechs Stunden Zeit sich zu entscheiden.^^

    Und einer der gelandeten Galaktiker hat natürlich ein Souvenir mitgenommen und trägt so den Samen der Rebellion in die Welt hinaus.8|

    Das interessanteste sind die Gedankengänge, ob eine einfachere Welt vielleicht sogar die bessere wäre, aber viel bleibt ja am Ende nicht übrig.

    Ach, schweigen wir über diese unsägliche Geschichte. Die ist jetzt wirklich mies.

  • Mir wurde in Souvenir zuviel langweiliges Zeug gequasselt.

    Klar, die Idee einer völligen Gleichschaltung einer Gesellschaft lag in den 50ern auf der Hand, ist quasi die Idee hinter dem Warschauer Pakt. Abweichler wurden plattgemacht. Aber der Funke der Individualität wird trotzdem weiter getragen.


    Aber als Geschichte einfach schwach. Keine guten Figuren, keine Spannung, nur Idee und Metapher.

  • Mir wurde in Souvenir zuviel langweiliges Zeug gequasselt.

    Definitiv. Rogers landet auf dem Planeten und wird permanent vollgequasselt. Von "Show, don't tell" hat Dick anscheinend noch nichts gehört.


    Ansonsten:

    Ich musste stellenweise an "Es ist schwer, ein Gott zu sein" von Arkadi und Boris Strugazki denken - Aber auch an die Amischen, die sich ja ganz bewusst von der modernen Gesellschaft abwenden. Zunächst glaubt man noch, dass die Nachfahren von Williamson auf dem Planeten ein absolutes Paradies geschaffen haben (und möchte Dick schon seine extrem moralisierende Botschaft vorwerfen), doch dann werden die Kämpfe und die primitiven Sitten erwähnt. Zudem ist ihre Kultur völlig gespalten: Jeder bleibt in seinem Clan und die familiären Strukturen sind nach traditionellen patriarchalischen Grundlagen aufgebaut. Das erinnert doch etwas an die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis bzw. an die "naturverbundenen" Strömungen der neuen Rechten.

    Im Rest des Universums sieht es hingegen ganz anders aus: Alle sind zu einer einzigen Kultur verschmolzen und es gibt keine Kriege mehr - Globalisierung Fuck Yeah! Rogers gehört hier aber auch nicht zu den Guten (der zweite Twist der Geschichte), denn der Frieden in der Galaxie hat durchaus seinen Preis: Jede kulturelle Abweichung, die sich dem herrschenden System nicht anpassen will, wird gnadenlos vernichtet. Ist Frieden vielleicht nur unter diesen Bedingungen bzw. nur durch die Aufgabe der Individualität möglich? Verschwörungstheoretikern, die glauben, dass wir in einer Diktatur leben und alle gleichgeschaltet werden sollen, dürfte die Geschichte jedenfalls gefallen :D. Von diesem Irrsinn konnte Dick allerdings noch nichts ahnen. Er spricht hier mMn durchaus ein paar Interessante Ding an, die Präsentation fällt aber leider ziemlich langweilig und geschwätzig aus. Insgesamt fand ich "Souvenir" nicht ganz zu furchtbar wie ihr, mehr als "mittelmäßig" ist das Ganze aber auch nicht.

    Und einer der gelandeten Galaktiker hat natürlich ein Souvenir mitgenommen und trägt so den Samen der Rebellion in die Welt hinaus.

    Das Ende fand ich auch extrem aufgesetzt. Mir ist schon klar, was Dick damit sagen will, aber dass ein simpler Holzbecher, die Saat der Rebellion in die Welt tragen soll, ist natürlich ziemlicher Quatsch.

  • Survey Team, die vorletzte Geschichte im Band, erschien 1954 in Fantastic Universe, eine Ausgabe mit interessanter Autorenschar wie ich finde:

    http://www.isfdb.org/cgi-bin/pl.cgi?89681


    Den einen Planeten zugerichtet, wollen die Überlebenden zum Mars auswandern. Doch auch dieser Planet wurde ausgeplündert und als sie erkennen, wohin die Reis der Marsianer hin ging, schließt sich der Kreis.

    Die Auflösung der Geschichte ist schon sehr früh zu erkennen, die moralische Botschaft schon stark, aber insgesamt ist die Umsetzung doch arg dürftig wie ich finde.

  • Die Auflösung der Geschichte ist schon sehr früh zu erkennen...

    Absolut. Sofort nach der Landung auf dem Mars war mir der "große Twist" der Story eigentlich schon zu 100% klar.

    Ansonsten ist "Vermessungsteam" Dick as usual - Soll heißen: Opa erzählt uns mal wieder vom Krieg.

    So langsam hängt mir das Thema zum Hals raus. Der frühe Dick war thematisch doch recht einseitig.

    ...die moralische Botschaft schon stark...

    Auch da gebe ich dir Recht. Sie wird einem zwar mal wieder mit dem Holzhammer präsentiert, aber die eigentliche Idee hinter der Geschichte fand ich wirklich ganz nett.