Bibliothek des Hauses Usher (1969-1975)







  • Einleitung


    Man könnte trefflich darüber streiten, ob nun die Bibliothek des Hauses Usher oder die Bibliotheca Dracula als Initialzündung für anspruchsvolle Phantastik am deutschsprachigen Buchmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg anzusehen ist. Sicher, einzelne Veröffentlichungen gab es auch schon in den Jahren vor 1969 und bei Heyne bereits eine kleine Riege an Themen-Anthologien und Erzählbänden. Darunter eine erste Sammlung von H. P. Lovecraft. Allerdings in billiger Aufmachung und im Falle von Lovecraft schlampig übersetzt. Mit den eingangs erwähnten Reihen startete hingegen der Versuch einer ernsthaften Auseinandersetzung - in Inhalt und Aufmachung - mit dieser Art von Literatur, die weit über die wenigen kanonisierten Klassiker hinausging.



    Für den Insel-Verlag bildete das ein Jahr zuvor erschienen Cthulhu ein erstes Herantasten an die Thematik. Ein Erzählband mit einer Auswahl an Geschichten aus dem titelgebenden Mythos, Initiiert und übersetzt von Lovecraft-Fan H. C. Artmann. Der wollte dem Vernehmen nach auf dem Gebiet noch weitermachen. Daraus wurde dann aber offensichtlich nichts. Die Resonanz von Cthulhu dürfte jedenfalls gut genug gewesen sein, so dass Verlagsmitarbeiter Armin Abmeier die Verantwortlichen davon überzeugen konnte, eine entsprechende Reihe zu starten. Als Betreuer brachte er seinen Freund Kalju Kirde ins Spiel. Dieser gab 1966 mit seinem dreiteiligen Aufsatz Bemerkungen über Weird Fiction in Franz Rottensteiners Quarber Merkur (#8-10) eine eindrucksvolle Eignungsprobe ab. Kirde, Jahrgang 1923, arbeitete eigentlich hauptberuflich als Physiker am Max-Planck-Institut in Göttingen und verschlang seit Kindheitstagen begierig phantastische Literatur. Er entdeckte Lovecraft bereits vor (!) dem Krieg in Estland (!). Auf welchen Wegen die alten Arkham House-Ausgaben oder Weird Tales-Hefte damals ins Baltikum gelangten, wäre wahrscheinlich eine eigene Story wert. Mit der Bibliothek des Hauses Usher bekam er die Möglichkeit, einige in seinem Artikel behandelte Autoren erstmals auf Deutsch zu veröffentlichen.







    Inhalt


    Schaut man sich die publizierten Bücher an, muss man fast zwangsläufig davon ausgehen, dass sich Insel und Hanser bei der Gestaltung ihrer Programme abgesprochen und den Markt untereinander aufgeteilt haben. Während Michael Krüger und Dieter Sturm den Fokus auf frühere Phantastik, insbesondere Gothic Novels und Schauerromantik legten, brachte Kirde vorwiegend spätere, englischsprachige Autoren. Mit Ausnahme von E. A. Poe, Joseph Sheridan Le Fanu und Ambrose Bierce allesamt Vertreter der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nur der Pole Stefan Grabinski sowie die beiden Belgier Jean Ray und Thomas Owen rüttelten ein bisserl an der Dominanz der Anglosphäre.

    Zentraler Bezugspunkt war eindeutig Lovecraft, dessen Freundeskreis (C.A. Smith und August Derleth) und explizite Vorbilder (etwa Lord Dunsany, Arthur Machen oder Algernon Blackwood) ausgiebig berücksichtigt wurden. Sein Supernatural Horror in Literature dürfte für Kirde eine nicht unwesentliche Orientierungshilfe bei der Zusammenstellung gewesen sein. Seine Auswahl repräsentiert verschiedene Spielarten der unheimlichen Phantastik bis hin zur frühen Fantasy. Mal ungemein subtil auf leisen Sohlen (Walter de la Mare), mal als ungelenkes Pastiche (Derleth) begegnet den Lesern das Grauen in vertrauten Motiven oder der moderneren Variante einer völlig entkoppelten, vermeintlich vertrauten Wirklichkeit (Owen).

    Bevorzugte Textformen waren eindeutig Kurzgeschichte und Novelle. Selbst wo Kirde mit Der Fall Charles Dexter Ward, Malpertuis und Auf Cthulhus Spur Romane herausbrachte, waren diese entweder eher kurz gehalten oder aus einzelnen Episoden zusammengeschustert. Kein Vergleich zu den Schwarten aus der Bibliotheca Dracula.

    Den Büchern erläuternde Nachworte anzuhängen, setzte sich im Gegensatz zur Konkurrenz erst gegen Ende der Reihe durch.







    Erscheinungsbild


    Die Aufmachung trug einiges zur Legendenbildung bei. Die Bücher erschienen nämlich als schicke Hardcovers mit surrealistischen Umschlagsentwürfen von Ute und Hans Ulrich Osterwalder, die eigens für die Reihe kreiert wurden. Zudem betonen das vergleichsweise schmale Format und insbesondere das sattgrüne Papier die exzentrische Ästhetik. Letzteres hat den Test der Zeit jedoch leider nicht immer gut überstanden. Ein paar meiner Exemplare, obwohl allgemein in schön erhaltenem Zustand, wirken ausgeblichen und lassen den einst kräftigen Farbton nur mehr erahnen. Im Laufe der Produktion ging den Herstellern das grüne Papier aus, so dass die letzten drei Bände auf herkömmlichem, weißem Papier gedruckt werden mussten. Mitunter taucht auch eine broschierte Produktionsvariante einzelner Titel auf. Quasi Taschenbücher in ähnlichem Format. Ob die für den regulären Verkauf gedacht waren oder als Rezensionsexemplare verschickt wurden, lässt sich leider nicht mehr sagen.

    Die Auflage betrug 6.000 Stück und bewegte sich damit ungefähr im von Artmanns Cthulhu abgesteckten Rahmen. Damit dürfte der damalige Interessentenkreis auch recht gut abgedeckt worden sein. Denn einzig der zweite Band, Lovecrafts Das Ding auf der Schwelle, erfuhr eine weitere Auflage mit 2.000 Exemplaren.







    Nachwirkung


    Die Reihe brachte es immerhin auf 26 Bände und machte verschiedene heute als Klassiker geltende Autoren erstmals deutschsprachigen Lesern zugänglich. Aus diesem und aufgrund der bibliophilen Aufmachung gelten die Bücher heute als begehrte Sammlerstücke und werden entsprechend teuer gehandelt. Sie lassen sich deshalb im versierten (Online)Handel kaum mehr zu günstigen Preisen erwerben. Man muss schon auf Glückstreffer bei Flohmärkten hoffen. Abhilfe verschafft zynisch betrachtet sicher die demographische Entwicklung. Jene, die die Bücher seinerzeit bei Erscheinen gekauft haben, kommen langsam ins heikle Alter. Allein in Wien tauchten die letzten zwei Jahre drei Sammlungen (zwei davon komplett!) im Antiquariat und auf Flohmärkten auf.

    Ungeduldige Interessierte könnten ich derweil an die Phantastische Bibliothek Suhrkamp halten, in der alle Titel teils mehrfach als Taschenbuch nachgedruckt wurden und im Falle von Lovecraft bis heute Teil des Verlagskatalogs geblieben sind. An der Phantastischen Bibliothek lässt sich außerdem gut ablesen, wie Kirde mit seiner eigenen Reihe weitergemacht hätte. Für Suhrkamp gab er neben zusätzlichen Sammlungen von Lovecraft, Blackwood, Jean Ray und C. A. Smith, Auswahlbände von Dino Buzzati, Erckmann-Chatrian, Henry S. Whitehead oder die wunderbare Anthologie Das unsichtbare Auge heraus.

  • col.race Vielen Dank für die Vorstellung dieser Klassiker-Reihe – zu der wohl viele von uns einen Bezug haben …


    Er entdeckte Lovecraft bereits vor (!) dem Krieg in Estland (!). Auf welchen Wegen die alten Arkham House-Ausgaben oder Weird Tales-Hefte damals ins Baltikum gelangten, wäre wahrscheinlich eine eigene Story wert.


    Tja, da sagst du was! Erst letztens erkundigte ich mich bei Robert Bloch wegen dieser Angelegenheit. Er hat das nicht nur bestätigt, sondern schrieb, dass Kalju Kirdes Mutter ihm die Weird-Tales-Ausgaben vom Zeitschriftenstand mitgebracht habe … Was aber die Arkham-House-Bände betrifft, so hat Kirde selbst noch – dann wohl schon in Göttingen – mit dem Verlag korrespondiert.

  • Danke, das Ergebnis eines verregneten späten Sonntag Nachmittags/Abends.


    Tja, da sagst du was! Erst letztens erkundigte ich mich bei Robert Bloch wegen dieser Angelegenheit. Er hat das nicht nur bestätigt, sondern schrieb, dass Kalju Kirdes Mutter ihm die Weird-Tales-Ausgaben vom Zeitschriftenstand mitgebracht habe … Was aber die Arkham-House-Bände betrifft, so hat Kirde selbst noch – dann wohl schon in Göttingen – mit dem Verlag korrespondiert.

    Sehr interessant! Exqusiter Zeitungshändler 8)

    Kirdes Eltern emigrierten ja nach dem Krieg in die USA, was ihm als ehemaligen Wehrmachtssoldaten verwehrt war. Das hat ihm die Beschaffung mancher Bücher sicher erleichtert.

  • Schöne Vorstellung! Die Bücher sind wirklich Schmuckstücke.


    "Bemerkungen über Weird Fiction" wurde auch mindestens zweimal nachgedruckt. Einmal in Hans Joachim Alpers "Lexikon der Horrorliteratur" und dann noch als eigenständiger Band bei Lindenstruth. Unter dem Titel "Führer durch die klassische Weird Fiction". Mit Wortspenden von Franz Rottensteiner und Tochter Signe Kirde.

  • Auch von mir ein großes Dankeschön für diesen tollen Einblick.


    Für mich spielte die Reihe erst in zweiter Instanz eine Rolle, als Jugendlicher stolperte ich nicht darüber. Erst, als meine Leidenschaft für die Phantastik als Mittzwanziger wieder voll aufflammte, stieß ich in einem Antiquariat darauf, neben dem ich damals wohnte. Da man mich dort kannte, bekam ich den ganzen Schwung (um die 15 Bände) für 80€, was mich heute natürlich sehr freut. Die meisten meiner Bände sind gebunden, allerdings sind auch einige dieser broschierten Variante darunter. Und was die Papierfarbe anbelangt, bildet sich auch bei mir die gesamte Bandbreite ab: Einige Bücher sind noch sattgrün, andere komplett verblichen. Mein "Malpertuis" hat vereint sogar weißes und grünes Papier, wenn ich das richtig sehe.

  • Da man mich dort kannte, bekam ich den ganzen Schwung (um die 15 Bände) für 80€, was mich heute natürlich sehr freut.


    Ein echtes Schnäppchen! Das Ding auf der Schwelle habe ich schlecht beworben um 3€ auf booklooker.de entdeckt, die meisten musste ich aber über mehrere Jahre mühsam zusammensuchen.

  • Das Abstellgleis & Dunst von Grabinski habe ich heute bekommen (allerdings die suhrkamp ausgaben).


    Beim durchblättern bzw. Durchsehen des inhaltsverzeichnisses der beiden bücher war ich etwas verwundert, weil manche stories wohl doppelt enthalten sind.

    Ist das bei den insel ausgaben auch so, oder wurde der inhalt bei den suhrkamp ausgaben irgendwie geändert, weiss da jemand was?


    Danke schon mal vorab